In Südafrika geboren, in der Schweiz aufgewachsen, packte den gelernten Bäcker-Konditor schon früh das Fernweh. Sergio Minder reiste kurzerhand nach Indien, um Einheimische beim Erfüllen ihres Traums einer Schweizer Bäckerei vor Ort zu unterstützen. In einer mehrteiligen Serie berichtet er über sein Abenteuer. Hier der dritte und letzte Teil.

Ein grosser Unterschied war der ganze Tagesrhythmus der Inder. Morgens beginnt der Tag mehrere Stunden später als wir uns dies gewöhnt sind – insbesondere in der Bäckerei-Konditorei-Branche. Ich stand in der Regel so zwischen sieben und acht Uhr auf, genoss ein ausgedehntes Frühstück mit vielen frischen exotischen Früchten und ab und zu schon recht scharfen indischen Speisen. Gegen zehn Uhr war ich jeweils im Betrieb und mein Arbeitstag fing an. Natürlich war ein Teil der Angestellten schon früher am Morgen dort. Aber Arbeitsbeginn um zwei Uhr früh gab es nicht. Dafür war man dann natürlich abends länger dort. Um 19 Uhr war mein Arbeitstag beendet. Dann ging’s nach Hause und erst gegen 21 Uhr wurde ausgiebig zu Abend gegessen. Obwohl ich stets eher ein Frühaufsteher war, gefiel es mir, den Tagesrhythmus mal etwas auf den Kopf zu stellen. Es war schön, morgens länger liegen zu bleiben und dafür abends dann gemütlich draussen zu sitzen und ausgiebig zu essen und trinken.
Ich wohnte in einem sehr schönen Teil der Stadt Hyderabad, die ca. sieben Millionen Einwohner hat. Ich hatte bei den Bäckereiinhabern ein eigenes Zimmer mit Bad und war Teil der Familie während meiner Zeit in Indien.

KÜHE, ELEFANTEN UND KAMELE

In der Freizeit wurde mir die Stadt Hyderabad gezeigt, ich wurde in Restaurants mitgenommen, konnte ins Theater mitgehen und weitere Teile des Landes bereisen. So besuchte ich unter anderem die Region Dehli und den Taj Mahal, die südindischen Städte Bangalore und Chennai, machte Busreisen und durfte Kamele reiten. Auf Indiens Strassen trifft man ja nebst einem chaotischen Strom von Autos, Motorrädern, Lastwagen und Rickshaws auch eine grosse Vielfalt an (Nutz-)Tieren an: Kühe, Elefanten und Kamele. Ich war tief beeindruckt, als mir mal ein Kamel entgegenkam. Ich berichtete meinen Arbeitskollegen davon und sie organisierten für mich einen Ritt auf einem Kamel. Das war eine sehr einzigartige Erfahrung! Doch sollte es nicht bei diesem einem Mal bleiben. Fortan kam der Besitzer des Kamels mit seinem Tier täglich um 19 Uhr zur Bäckerei und ich konnte meinen «Feierabend-Ritt» geniessen.
Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu meinen Arbeitskollegen und wurde ab und zu von ihnen zum Essen nach Hause eingeladen oder um ein Bier trinken zugehen. Da die Familie, bei der ich wohnte, sehr gut betucht war (eigner Koch, Chauffeur etc.) war es interessant zu sehen, wie der «gewöhnliche Angestellte» lebte. Und wenn ich mit den Angestellten unterwegs war, wurde ich ein wenig wie ein bunter Hund auch gerne mal prahlend irgendwo vorgeführt.

Wegweisende Erfahrung

Obwohl ich mich sehr in Indien und sein vielschichtiges und buntes Chaos verliebte, gab es auch schwierigere Momente. Bei der Arbeit begegnete ich z.B. Rohstoffen, die mir unbekannt waren und mit deren Einsatz ich improvisieren musste. Oder es kam immer wieder vor, dass Angestellte nach erhaltenem Lohn nicht mehr zur Arbeit erschienen. Und dann kamen auch die äusseren Einflüsse sowie die Kultur hinzu: Das sehr heisse Klima und extrem scharfe Essen kombiniert mit allgemein tieferen Hygienestandards führten zu längeren Perioden mit Magenproblemen. Doch das ist halt Teil der Indien-Erfahrung … Manchmal, während mein Magen verrücktspielte, wünschte ich mir eine Portion währschafte Schweizer Küche anstelle eines weiteren höllisch scharfen Gerichtes.
Mir gefiel, dass man in Indien auch Leuten ohne Ausbildung eine Chance gab und sie mit „learning by doing“ die nötigen Kenntnisse aneigneten. Doch selbstverständlich ersetzt dies nicht das Absolvieren einer Lehre wie wir es in der Schweiz kennen.
Wie erwähnt, ich wurde grosser Fan von Indien und bin es nach wie vor. Es ist weltweit ein einmaliges Land und eine einzigartige Kultur und man fühlt sich total in eine andere Welt versetzt. Wo es sowohl mehr wie auch weniger erfreuliches zu sehen und erleben gibt.
Für mich war es eine sehr wegweisende Erfahrung und absolut prägend für mein weiteres Leben. Es öffnete mir ausserdem Tore für Arbeitsprojekte in anderen Ländern (u.a. Surinam, Australien) und festigte in mir die bereits in die Wiege mitgegebene Philosophie, dass Reisen sehr bildend sein kann und man stets viele positive Erfahrung mit in seinen Rucksack nehmen kann.

Ich lebe und arbeite nun seit dreizehn Jahren in Finnland. Hier ist alles top organisiert, man hat viel Platz und die Natur ist unberührt und pur.  Manchmal, wenn es im Winter -30 Grad ist, wünschte ich mich zurück in die heisse Verrücktheit Indiens.

Sergio Minder

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