Was ist Handwerk? Die meisten Bäckereien gaukeln ihrer Kundschaft einen Handwerksbegriff vor, der schon seit Jahrzehnten nicht mehr mit Leben gefüllt ist. Sicherlich nicht mit böser Absicht, sondern eher aus einer Angst heraus, die Kundschaft könnte es ihnen übel nehmen, wenn sie erführe, dass ein Grossteil des Sortiments auf industrieller Hilfe beruht.

Vor- und Fertigmischungen, Fertig vor- oder -sauerteige, TK-Teiglinge oder TK-Backwaren oder enzym- und emulgatorenbasierte Backmittel – es sind Wege, um die Kundschaft mit grossen, hübschen Backwaren zu einem akzeptablen Preis zu halten, solange nicht preisgegeben wird, dass sie anders entstanden sind, als die Kundschaft als «Handwerk» versteht. Hat sich das Handwerk zur verlängerten Werkbank der Industrie degradiert?

Der Preis für die Lebenslüge des Bäckerhandwerks ist Vergleichbarkeit. Die Backwaren sind vergleichbar geworden mit dem, was die Industrie schneller, effizienter und billiger herstellen kann. Laut einer Forsa-Umfrage * verstehen sich 100 % der befragten Betriebe in Deutschland als Handwerksbäckereien, aber 53 % verwenden behandelte Mehle, 31 % nutzen zudem Zusatz- und Verarbeitungshilfsstoffe im Teig, 49 % nutzen Vor- und Fertigmischungen und 42 % kaufen Teiglinge zu. Und das dürfte nur die Spitze des Eisbergs sein.

Rund vier von fünf Betrieben teilen ihrer Kundschaft nicht mit, dass sie Vor- und Fertigmischungen bzw. Teiglinge zukaufen. Sie geben ihre Backwaren als «handwerklich» hergestellt aus.

Handwerk beginnt im Kopf. Und dazu gehört auch, sich ehrlich und transparent zu machen.

Lutz Geißler

*Die Fragen und Ergebnisse der Umfrage sind unter brotkulturerbe.de frei abrufbar.

Lutz Geissler beschäftigt sich als Quereinsteiger seit 2008 mit der deutschen Brotkultur. Er ist Autor von 17 Brotbüchern und betreibt seit 2022 mit Bäckermeisterin Christina Weiss eine Quartierbäckerei in Hamburg (D).


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