In einem Artikel mit dem Titel «La panetteria-pasticceria con negozio di commestibili di Giuseppe Nosetti» (Die Bäckerei-Konditorei mit Lebensmittelladen), der am 23. Februar 2018 im «Panissimo» erschienen ist, habe ich die Geschichte meines Vaters erzählt, der nach seiner Lehre als Bäcker-Konditor bei der Franz Meienbergs Bäckerei-Café in Uznach (SG) einige Jahre als Angestellter in Lugano und Brissago gearbeitet hat. Von August 1953 bis Juli 1969 hat er mit der Unterstützung seiner Ehefrau Rita und seiner Tochter Miriam eine eigene Bäckerei-Konditorei in Gordola (TI) geführt. Der Untertitel des Artikels – «Eine Erfolgsgeschichte aus den 50er- und 60er-Jahren» – liess keinen Zweifel an den Leistungen dieses erfolgreichen Unternehmens, das von meinen Eltern verantwortungsvoll und kompetent geleitet worden war.

In diesem Beitrag möchte ich mich jedoch auf die Konditorei konzentrieren, insbesondere auf die Herstellung des Panettone. In einem rund zehnseitigen Notizbuch mit dem Titel «Konditorrezepte» hat mein Vater die Zutaten und Mengen einer ganzen Reihe von Produkten aufgelistet, die in drei Kategorien eingeteilt sind: Hefeteig, «Paste montate» für Torten und Tortenstücke sowie Trockengebäck.

Zur ersten Gruppe gehören der Hefeteig, das Weggli, das «Pariser Gipfel», «le Veneziane», die süssen Brötchen für Zwieback, die Brioches, die Stollen und die Panettoni.

Die zweite Gruppe umfasst u. a. die Madeleine und «die Pasta Margherita», der Plumcake, Änisbrot, «gli africani» und «la biscottini», «la piramide», und «il biscotto alla cioccolata» sowie die Füllung für die «Pasticcini» und die «Holländer Masse».

In der letzten Gruppe finden wir die weissen Amaretti und diejenigen von Saronno, «le pastine inglesi» und der Linzerteig, die Kirsch-Mandelstollen und die Wiener Waffeln sowie schließlich der Blätterteig.

Hinzu kommen Rezepte, die später geschrieben worden sind, für Meringues, Schokoladentorte, Japonaistorten, «tortelli di San Giuseppe», Berliner und auch für Pizzateig. Es fällt auf, dass für mehrere Produkte der deutsche Begriff verwendet worden ist, was an die harten Erfahrungen erinnert, die mein Vater Giuseppe während seiner Lehre in Uznach von 1926 bis 1928 gemacht hat.

In der Produktion in Gordola, in der in den arbeitsreichsten Zeiten drei bis vier Angestellte arbeiteten, war die Herstellung von Konditoreiprodukten die ausschliessliche Aufgabe meines Vaters. Er kümmerte sich nach der Brotlieferung darum. Er benötigte am späteren Vormittag ein paar Stunden. Die Produkte wurden in dem von meiner Mutter geführten Lebensmittelladen verkauft, mit Ausnahme der grossen Apfeltorten, die im Sommer direkt auf einige Campingplätze in Tenero geliefert wurden.

Ich habe immer alle in unserem Laden angebotenen Konditoreiprodukte geschätzt, aber besonders in Erinnerung geblieben sind mir die «africani», die Wiener Waffeln (die ich leider nicht mehr in Tessiner Konditoreien finde) und der Panettone. Die Zutaten des Panettone sind die klassischen: Mehl, Zucker, Butter, Eier, Sultaninen, Zitronen und «fior di Sicilia» sowie einheimische Hefe. In der Anfangszeit erfolgte die Verarbeitung mit normaler Hefe nach dem Verfahren der Bäckerei-Konditorei von Antonio Gandin in Brissago, in der mein Vater mehrere Jahre lang gearbeitet hatte. Dann wurde die Proktionsmethode mit dem Sauerteig eingeführt, die eine deutliche Verbesserung des Produkts ermöglichte. Die Herstellung von Panettone konzentrierte sich auf die Weihnachtszeit, da es damals nicht üblich war, diesen zu anderen Jahreszeiten zu konsumieren.

Zu den üblichen Arbeiten kam dann ab Anfang Dezember die Zubereitung des Panettone hinzu, an der die ganze Familie beteiligt war, zumindest was die Verpackung des fertigen Produkts betraf. Damals gab es nämlich die speziellen Säckchen, in denen der Teig heute gebacken wird, noch nicht. Diese mussten gewissermassen aus einem Band aus Pergamentpapier hergestellt werden, das auf einer Unterlage ruhte und das nach dem Backen und Abkühlen des Panettone entfernt werden musste. Zudem, da das Verpacken noch nicht weit verbreitet war, musste der Panettone zunächst in Pergamentpapier und dann in normales, farbiges Papier eingewickelt werden, das mit einem Band zusammengehalten wurde. Diese Arbeiten, zu denen auch ich manchmal meinen bescheidenen Beitrag leistete, wurden abends nach dem Essen erledigt: Die Genugtuung, das Ergebnis der Bemühungen zu sehen, stimmte einen fröhlich und liess die Müdigkeit der anstrengenden Arbeitstage vergessen.

Zum Abschluss dieses Textes möchte ich an zwei Episoden erinnern, welche die Panettone-Produktion im Familienbetrieb betreffen: eine positive und eine negative. Der Lieferant von Brennholz, mit welchem der Ofen indirekt beheizt wurde, bestellte jedes Jahr etwa hundert Panettoni zu je einem Kilogramm, die als Geschenke für seine Kundinnen und Kunden bestimmt waren. Einmal ging der Teig so gut auf, dass es sehr schwierig war, die Panettoni aus dem Ofen zu nehmen: Sie mussten einzeln umgedreht werden. Doch die Zufriedenheit war gross, als das Ergebnis zum Vorschein kam. Bei einer anderen Gelegenheit musste jedoch eine ganze Produktionscharge weggeworfen werden, weil die verwendeten Eier einen üblen Strohgeruch aufwiesen: Von da an wurde das Eigelb viel sorgfältiger in den Teig eingearbeitet und sogar tiefgekühlt gekauft. Der hier geschilderte Vorfall trübt nicht das Gesamtbild jener Zeit, an die ich mich immer mit vielen Emotionen und ein wenig Nostalgie erinnere.

Orlando Nosetti

Orlando Nosetti, 1945, Wirtschaftswissenschaftler, hat an verschiedenen Schulen gelehrt (von der Kantonalen Hochschule für Wirtschaft bis zum Zentrum für Bankstudien und an der USI / Università  della SvizzeraItaliana). Er war auch als Finanz- und Wirtschaftsberater für Unternehmen und öffentliche Einrichtungen tätig.


Die Blog-Beiträge spiegeln die Meinung des Gastkolumnisten wieder. Für deren Richtigkeit und Vollständigkeit übernimmt «Panissimo» keine Gewähr.

Das könnte Sie auch interessieren