Seit gut einem Jahr hat Wengen wieder einen Dorfbeck. Die Jungunternehmer Stefan Baumann und Alessia Uberto haben die Bäckerei des in Pension gegangenen Gaudens Vincenz übernommen. Sie blicken trotz nicht immer leichter Umstände auf ein erfolgreiches erstes Geschäftsjahr zurück.

Fotogalerie …»

Acht Monate lang, und das in der Hochsaison im Winterhalbjahr 2018/19, hatte der Tourismusort Wengen in der Jungfrauregion keine Bäckerei mehr. Doch dann wagten der in Grindelwald aufgewachsene Bäcker-Konditor Stefan Baumann mit abgeschlossener Berufsprüfung und Höherer Fachprüfung sowie seine Partnerin und Detailhandelsfachfrau Alessia Uberto den Schritt in die Selbstständigkeit. Sie übernahmen den Betrieb von Gaudens Vincenz. Dieser fand auf das Erreichen des Pensionsalters hin vorerst keinen Nachfolger, hoffte aber weiter auf einen Käufer, der das Geschäft im Dorfzentrum als Bäckerei weiterführt und nicht anderweitig nutzt.

Stefan Baumann und Alessia Uberto sagten im Frühjahr 2019 zu, die Bäckerei-Konditorei zu übernehmen. Baumann schilderte dem «panissimo» am Telefon, wie sie die Betriebsübernahme und das erste Geschäftsjahr erlebten. Das Paar lernte sich in Weinfelden kennen, wo er Produktionsleiter und sie Verkäuferin in einer Filiale von dä Sunne Beck Strassmann war. Während sie dort noch tätig waren, bereiteten sie mit wenig Vorbereitungszeit die Betriebsübernahme vor.

Diese gab umso mehr zu tun, als der Betrieb acht Monate stillstand. Mitte Juni 2019 wurde die Bäckerei Vincenz wiedereröffnet. Anfangs aus Kapazitätsgründen noch mit einem schmalen Sortiment, wie Baumann erklärt. Heute ist eine grosse Auswahl an attraktiven Bäckerei-, Konditorei-, Confiserie- und Take-away-Produkten erhältlich, darunter auch die lokalen Pralinen- bzw. Truffespezialitäten Jungfrau-Spitzli, Silberhörnli und Eiger-Grüessli (vgl. www.vincenz-wengen.ch).

Hoteliers schätzen den Dorfbeck

Zur Eröffnung wurden die Hoteliers zu einer Produkteschau eingeladen, die Bevölkerung zu einem Eröffnungsapéro. Abgesehen von einigen Bergrestaurants bezogen fast alle Hotels bereits letzten Sommer ihr Brot wieder beim Dorfbeck. Sie sind froh, dass es diesen wieder gibt. «Eine wichtige Einnahmequelle» ist nach Auskunft von Baumann auch das Lauberhornrennen. Dieses bringt drei intensive Tage mit sich. Der Laden liegt gegenüber dem Gelände für die Siegerehrung, und das Organisationskomitee achtet darauf, möglichst regionale Produkte zu beziehen.

Nicht ganz einfach war der Corona-Lockdown der Hotels und Gastrobetriebe ab 15. März. Grössere Bestellungen, für die in der Bäckerei-Konditorei bereits Vorbereitungen liefen, fielen plötzlich weg. Trotzdem gab es fürs erste Betriebsjahr, das vom 1. Juni bis 31. Mai dauert und so nicht die Hochsaison zerschneidet, einen «sehr positiven Jahresabschluss». Die Jungunternehmer bekamen einen guten Übernahmevertrag und wollen die Firma später kaufen. «Solange der Tourismus läuft, hat der Betrieb sehr viel Potenzial», ist Baumann überzeugt. Er legt aber auch Wert auf die Kommunikation mit der Bevölkerung. Dazu dient auch das Kundenmagazin «Gluscht & Gnuss», das seit diesem Frühjahr in alle Haushalte verschickt wird.

Saisonale Schwankungen

Neben dem Leiterpaar arbeiten in der Firma zwei Vollzeitangestellte in der Produktion und drei Teilzeitangestellte im Verkauf. Der Arbeitsanfall und damit auch die Arbeitszeiten schwanken je nach Saison stark. «Zwischen Weihnachten und Ostern ist Hochbetrieb, aber es ist ein angenehmes Schaffen. Und man weiss, dass man die Überzeit in der Nebensaison kompensieren kann», erklärt Baumann. Die Sommersaison ist weniger intensiv als jene im Winter, dafür dauert sie länger. In den Zwischensaisons im Frühjahr und Herbst sind vor allem die Einheimischen in Wengen. «Dann kann man herunterfahren und sich erholen», sagt Baumann. Seine Firma schliesst den Betrieb dann jeweils zwei oder drei Wochen.

Rohstofflieferungen per Bahn

Wengen ist wie eine Handvoll andere Schweizer Touristenorte auto­frei. Das heisst, dass die Lieferungen der Pistor oder die Mehlsäcke der Berner Oberländer Mühle Burgholz in Lauterbrunnen auf die Bahn verladen werden. Auch die anderen Läden sowie alle Hotels und Res-

«Solange der Tourismus läuft, hat der Betrieb sehr viel Potenzial.»

taurants müssen ihre Waren so hochfahren lassen. Doch das ist in Wengen ein eingespielter Ablauf und kaum der Rede wert, wenn nicht gerade wegen geschlossener Bäckerei (siehe Kurztext unten) das frische Brot zum Zmorge fehlt.

«Das Brotproblem ist gelöst»

Die «Jungfrau Zeitung» schilderte in mehreren grösseren Artikeln die Situation des Dorfes ohne Beck und die dann gefundene Nachfolgelösung für den Betrieb. Im November 2018 lautete der Titel noch «Ein brotloses Dorf», im April 2019 dann «Das Brotproblem ist gelöst». In der Zeit ohne Dorfbäckerei mussten sich die Hoteliers, Gäste und Einwohner im autofreien, per Bahn erschlossenen Ferienort anderweitig nach Brot und Backwaren umsehen. 16 von 19 Hoteliers wollten wei­terhin frisches Brot vom Beck und nicht Tiefkühlware beziehen, schrieb die Zeitung einen Monat nach Schliessung der Bäckerei. Daniel Binder vom Hotel Alpenrose setzte sich dafür ins Zeug, dass für die Hotels Brot aus den Bäckereien von Allmen in Lauterbrunnen oder Ringgenberg in Grindelwald mit dem vor 6 Uhr früh eintreffenden Zug angeliefert wird. Das Bahnpersonal unterstützte das besonders am Wochenende logistisch herausfordernde Projekt, weil dann kein Güterzug fährt. Für Binder war aber klar: «Wir werden unser Brot natürlich wieder beim Dorfbäcker be­ziehen, wenn die Qualität und der Preis stimmen», sagte er der «Jungfrau Zeitung» für den Fall, dass jemand die Bäckerei übernimmt. Nachfolger Stefan Baumann bestätigte dem «panissimo» Anfang Juli: «Die Hotels kamen praktisch alle wieder als Lieferkunden zurück.»

Das könnte Sie auch interessieren

Unterstützung fürs Gewerbe in Randregionen