Wie Bier und Wein haben Sauerteiggebäcke eine jahrtausendealte Tradition. Doch anders als die Getränke gerieten sie lange Zeit beinahe in Vergessenheit. Heute erkennt man den Wert von Sauerteig neu.
Seit Jahrtausenden wird Brot mit Sauerteig hergestellt. Das heute einen Boom erlebende Verfahren war aber nicht immer gleich verbreitet.
Anfänge im Alten Ägypten
Bereits um 3500 bis 4000 vor Christus wurden im Alten Ägypten Sauerteigbrote hergestellt. Der genaue Ursprung ist nicht bekannt. Einige vermuten, ein Bäcker habe einen Teig ungewollt lange liegen lassen und dann doch noch verbacken. Andere nehmen an, dass Mehlsäcke durch eine Überschwemmung des Nils nass wurden und es durch die natürliche Entwicklung von Mikroorganismen eine Spontangärung gegeben habe. Von Ägypten aus verbreitete sich das Sauerteigverfahren in vielen Kulturen in aller Welt.
In seiner umfangreichen Naturgeschichte «Naturalis historia» beschrieb der römische Gelehrte Plinius der Ältere 79 nach Christus die Herstellung von Sauerteig durch das Vermischen von Weizenkleie mit drei Tage altem Traubenmost und die Sauerteigführung.
Die Verbreitung in Europa
Im Mittelalter wurde das alte Wissen in Europa nur noch an Höfen und in Klöstern weiter gepflegt. Ansonsten geriet es in Vergessenheit. Ab dem 15. und 16. Jahrhundert versorgten Bierbrauer und Schnappsbrenner Bäcker in Mitteleuropa mit Hefe. Diese war qualitativ nicht ideal, doch mit dem Aufkommen von Hefefabriken ab Ende des 18. und vor allem im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die Produkte zunehmend besser.
Ausser an Höfen und in Klöstern geriet Sauerteig lange in Vergessenheit.
Durch den Siegeszug der Hefe hatte Sauerteig keine grosse Bedeutung mehr. Er kam noch bei Roggenbroten zum Einsatz, um den richtigen Säuregrad zu erreichen. 1930 kamen die ersten Fertigsauer und getrockneten Sauerteige auf den Markt. Bei Weizenmehl kommt Sauerteig seit jeher für Spezialprodukte wie Panettone zum Einsatz, bei Weizenbroten lernte man Sauerteig in Westeuropa aber erst in den letzten Jahrzehnten allmählich mehr schätzen.
Sauerteig in der Schweiz
Das erste nachgewiesene Sauerteigbrot der Schweiz datiert etwa von 3550 vor Christus (vgl. Artikel im letzten «panissimo») und wurde 1976 in Twann (BE) entdeckt. Wie in den umliegenden Ländern spielte Sauerteig in der Schweiz ums Jahr 1900 keine grosse Rolle mehr. Er kam vor allem noch in einzelnen Traditionsgebäcken wie Luzerner Weggen, Walliser Roggenbrot und Panettone weiterhin zum Einsatz.
Wie der Berner Brotsommelier Patrik Bohnenblust «panissimo» verriet, wurden dank des «Bäckergenerals» Walter Kuchen in der Armee von 1960 bis 1990 Sauerteig-Spezialisten ausgebildet, damit das Land im Ernstfall gewappnet wäre.
Neue Bedeutung gewonnen
Der von der Branche in der Nachkriegszeit kaum mehr beachtete Sauerteig wurde in den 1990er-Jahren auch in der Bäcker-Konditor-Ausbildung nur noch ganz am Rande behandelt, von 1998 bis 2010 überhaupt nicht mehr, erklärt Bohnenblust. Richemont beschäftigte sich dagegen weiter mit dem Thema, gab und gibt Kurse dazu. Mit der neuen Grundbildung Bäcker-
Konditor-Confiseur und dem Fachbuch «Grundlagen» von Richemont werde das Thema in der Ausbildung nun wieder ernst genommen, freut sich der Berner Bäckermeister. Es gewinnt auch in der Branche zunehmend an Bedeutung, wie das Interview mit Richmont-Bäckereichef Urs Röthlin im letzten «panissimo» zeigt. Richemont führte 2019 gar einen internationalen Sauerteigkongress durch und viele Zulieferfirmen der Branche setzen stark auf Sauerteig.
Quellen:
bernersauerteig.ch
de.wikipedia.org/wiki/Sauerteig
it.wikipedia.org/wiki/Lievito_naturale
Traditionelle Schweizer Sauerteiggebäcke
Graubünden: Bündner Roggenring (aus Roggensauer)
Innerschweiz: Luzerner Sauerteig-Weggen (aus Weizensauer)
Romandie: Parisette (aus flüssigem Weizensauer)
Tessin: Panettone (aus festem Weizensauer)
Wallis: Walliser Roggenbrot AOP (aus Roggenschrotsauer)