In den Schweizer Backstuben ist ein regelrechter Sauerteig-Boom zu beobachten. Dieser hat je nach Region seine Besonderheiten. Sébastien Knecht, Leiter Richemont Romandie, beleuchtet die Unterschiede und plädiert dafür, diese als wertvollen Schatz zu bewahren.

Seit einigen Jahren ist das Interesse an Sauerteig neu erwacht. Immer mehr Bäcker setzten ihn ein. Auch Privatpersonen wagen sich daran, und im Internet tauchen ständig mehr Rezepte dazu auf. Sébastien Knecht sieht mehrere Gründe
für diese Begeisterung: «die geschmacklichen und qualitativen Aspekte, die verbesserte Frischhaltung des Brotes und ein wenig auch den Modeeffekt. Einige Leute stellen zudem Vorteile auf der Ebene der Verdauung fest.»
Traditionellerweise setzen die Schweizer Bäcker-Confiseure feste Sauerteige ein. In der Westschweiz verwendet jedoch etwa ein Viertel der Bäcker die flüssige Form. «Dies liegt am französischen Einfluss.

«Feste und flüssige Sauerteige sind geschmacklich unterschiedlich.»

Die beiden Richtungen ergänzen sich. Sie bringen unterschiedliche Eigenschaften in die Produkte», erklärt der Verantwortliche von Richemont Romandie. Die Basis beider Formen ist dieselbe, eine davon enthält bloss mehr Flüssigkeit. «Dies begünstigt das Auftreten einiger Fermente auf Kosten anderer. Die aromatischen Stoffe werden freigesetzt und verdunstet. In einem kompakten Teig bleiben sie gefangen. Das organoleptische Geruchsmerkmal der beiden Mischungen ist darum unterschiedlich.»
Die Wahl der Konsistenz hängt in erster Linie von der Arbeitsweise ab. «Einige Fachleute lagern lieber Teig, andere kleine Behälter mit einer Flüssigkeit, wieder andere verwenden Automaten.» Ähnlich wie Temperierer vermischen die Letzteren den Sauerteig ständig. Nach einer abwechselnden Abfolge von kalten und warmen Phasen, wird er nach erfolgter Reifung abgekühlt. Der Bäcker kann sich dann nur noch bedienen.

Kennen des Gleichgewichts

Die Geschmackspräferenzen werden auf der einen und auf der anderen Seite der Saane ebenso beobachtet wie Einflüsse aus den Nachbarländern. «In der Romandie wird ein eher fruchtiger, fermen­tierter und süsser Geschmack bevorzugt. In der Deutschschweiz werden etwas charakteristischere Aromen angestrebt», erklärt der Richemont-Mitarbeiter, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass es sich dabei nur um allgemeine Beobachtungen handelt.

«In der Romandie werden fruchtigere, in der Deutschschweiz charakteristischere Aromen angestrebt.»

Durch eine gezielte Fermentation entwickelt der Sauerteig Essig­säuren und Milchsäuren. Je nach Anteil der zwei Komponenten entsteht ein eher saurer oder milder Geschmack.
Die Konsistenz der Zubereitung, die Temperaturen und die Reifungszeit beeinflussen die Führung des Sauerteigs, aber nicht nur, wie Sébastien Knecht erklärt: «Die Art des Getreides und seine Vermahlung beeinflussen ebenfalls die Art der Säure. Je tiefer der Ausmahlungsgrad des Mehls ist, desto mehr Säure und scharfe Geschmacksnoten hat der Sauerteig. Das ist ebenfalls bei Roggen der Fall. Je mehr Weizen und Dinkel man verwendet, desto milder werden die Aromen.» Wieder behält sich Knecht vor, dass dies verallgemeinert sei: «Ein guter Kenner des Sauerteigs ist in der Lage, mit Weizen ein kräftiges und mit Roggen ein mildes Aroma zu erhalten!»
Die Wahl der natürlichen Hefe für das Anstellgut – einer Frucht und eines Getreides – wirkt sich auf das Milch-Essig-Gleichgewicht aus. «Der Mischung aus Mehl und Wasser werden bestimmte Bakterien und Hefen zugegeben, die sich natürlicherweise auf dieser Zutat befinden und die Entwicklung beeinflussen.» Oft handelt es sich um Apfelsaft oder einen geriebenen Apfel. Doch es können alle zuckerhaltigen Zutaten verwendet werden. «Im Wallis benutzt eine Bäckerei zum Beispiel Himbeeren aus dem Dorf. Am Ende enthält der Sauer­teig nicht den Geschmack der Frucht, sondern deren Geist, einen kleinen Hauch der ihr eigenen Säure.»

Versteckt in einem Safe

Bei der Entwicklung des Sauerteigs spielen die in Mehl, Wasser, Hefe und Umgebungsluft enthaltenen Organismen eine entscheidende Rolle. Wird eine Mischungen an zwei verschiedenen Orten hergestellt, sind die beiden auch bei gleichen Zutaten nie zu 100 % identisch. Darüber hinaus verstärken sich diese Besonderheiten im Laufe der Jahre und des Auffrischens des Sauerteigs. Dank seiner Einzigartigkeit macht der Sauerteig darum einen Teil der Identität einer Bäckerei aus. «Diese persönliche Note ermöglicht es, eine Geschichte zu erzählen, wenn nicht die Geschichte des Unternehmens.» Es ist ein wahrer Schatz, der geschützt werden muss, so Knecht. Privat bewahrt er übrigens in einem Safe ein wenig Sauerteig der inzwischen verschwundenen Familienbäckerei auf.
Bei Problemen ist es äusserst schwierig, wenn nicht unmöglich, ihn wieder herzustellen. «Daher ist es wichtig, auf einem hohen Stand der Hygiene zu arbeiten. Es müssen auch Backups des Sauerteigs aufbewahrt werden, wie wir es mit den Festplatten unserer Computer machen!» Der Fachmann schlägt vor, eine dehydrierte Version zu erstellen und dieser Mehl beizugeben. «So sind die lebenden Zellen von Hefen und Bazillen immer noch da.
Wenn man Wasser zufügt, geht alles wieder los.» Und je mehr Backups es gibt, desto besser. «In Pulverform lässt es sich jahrelang aufbewahren, im Gefrierschrank monatelang, im Kühlschrank wochenlang.»
Das dritte und letzte Prinzip der Qualitätssicherung ist die regelmässige Kontrolle des Geschmacks, des Geruchs und des Aussehens seines Sauerteigs. «Probleme werden so schnell erkannt. So wird es möglich sein, etwas zu korrigieren, bevor es nicht mehr möglich ist.»

«Faszinierend und natürlich»

Ausser für die Herstellung von Brot kann Sauerteig auch für andere Bäckereiprodukte genutzt werden. Arlette Picard, Konditorei-Mitarbeiterin von Richemont Romandie, hat damit Erfahrungen gemacht: «Wir benutzten Sauerteig in der Bäckerei. Ich fand es schade, dass er nicht auch in der Patisserie eingesetzt wird.» Sie hat darum den Einsatz in Rouladen und Cakes geprüft. Dies erlaubte es, den Mehlanteil in Cakes zu reduzieren und den Zuckeranteil in Rouladen gar zu halbieren. «Der Sauerteig verstärkt tatsächlich den Geschmack von Zucker. (…) Das ist ziemlich faszinierend, und es ist natürlich!»

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