Über 175 Jahre war sie in Veltheim eine in der Bevölkerung geschätzte, normale Bäckerei mit Qualitätsprodukten, bis 2020. Heute wird in der Bäckerei-Confiserie Richner AG neben Back- und Konditoreiprodukten Schokolade in verschiedenen Grössen, Formen und Aromen für den Direktverkauf und für den B2B produziert – in Handarbeit. Die letzten drei Jahre waren eine Zeit der Umwälzung, der Hektik und der Improvisation, doch auch des Tatendrangs und der Begeisterung.
Die Bäckerei Richner in Veltheim wird in siebter Generationvon Barbara und Karl Richner geführt, seit 2018 gemeinsam mit Andi Lüscher. Ein erster grösserer Ausbauschritt wurde nach dem Eintritt von Andi Lüscher gemacht: Ein Teil des Gartens, der an den Produktionsraum angegliedert ist, wurde für den Bereich Konditorei geopfert.
Rund zwei Jahre später ging es richtig los: Im Juli 2020, mitten in der Pandemie, übernahm die Bäckerei-Confiserie Richner die Produktions- und Verpackungsmaschinen der Rheinfelder Confiserie Berner. Das Sortiment an Halb- und Fertigschokoladeprodukten wurde erheblich erweitert. Zusätzlich wurden die bekannten Berner-Nougat-Krokant-Produkte fortan bei Richners produziert.
Achtung, fertig, los!
Die Übernahme wickelte sich in nur drei Monaten ab. «Es musste schnell gehen», erinnert sich Karl Richner, «ganz nach dem Motto: Achtung, fertig, los!». Im März 2020 besichtigten die drei Branchenleute die Confiserie Berner in Rheinfelden. Am Muttertag wurde der Kaufvertrag unterzeichnet. «Zu diesem Zeitpunkt besassen wir zwar eine Firma, aber noch keinen Platz für den Maschinenpark», blickt Karl Richner zurück.
Der Zufall kam den Branchenleuten zu Hilfe: Im Industriegebiet standen Produktionsräume frei. Nun galt es, diese für eine Lebensmittelproduktion vorzubereiten. Es wurden Plättli gelegt, Wände gebaut und gestrichen, Böden eingelegt und daneben fanden Besuche bei Berner-Kund/innen statt, gleichzeitig mussten neue Prospekte hergestellt werden. Im Juli wurden mit mehreren Lastwagenfahrten die Maschinen von Rheinfelden nach Veltheim transportiert.
Ende 2022 der nächste Coup
Als sich die Abläufe eingependelt hatten, kam der nächste Coup. Ende 2022 schloss Heidi Chocolaterie Suisse SA ihren Produktionsstandort in Luzern. «Andi war hier der Auslöser», beginnt Karl Richner mit der Erzählung. «Wir waren nicht aktiv auf der Suche», ergänzt Andi Lüscher. Es seien Heidi-Kund/innen gewesen, welche die Geschäftsführer darauf aufmerksam gemacht hatten.
In Rekordzeit
Zwei Mitarbeitende mit viel Know-how sowie ein Teil des Maschinenparks und des Kundenstamms wechselten nach Veltheim. Das Angebot wurde mit der Private Label/Lohnfertigung und mit Bio-Produkten erweitert. Der ganze Deal wickelte sich in nur drei Wochen (!) ab. In einer Rekordzeit mussten die Informationen der Heidi-Kund/innen eingeholt und Prozesse laufend angepasst werden.
Dank den neuen Maschinen konnten einige Arbeitsprozesse merklich verbessert und Synergien genutzt werden. Beispielsweise die Herstellung der Napolitaine: Was früher anderthalb Tage benötigte, kann heute ohne Produktionsunterbrüche auf weniger Fläche produziert werden, da nun genügend Kühlraum und Formen zur Verfügung stehen.
Zwei wichtige strategische Schritte
«Mit Berner und Heidi haben wir zwei wichtige strategische Schritte gemacht», stellt Karl Richner rückblickend zufrieden fest. Im Vorfeld gab es bereits verschiedene Überlegungen, in welche Richtung sich die Bäckerei-Confiserie entwickeln soll. Die Idee einer zweiten Filiale wurde geprüft und verworfen. Vor allem Barbara Richner, unter anderem zuständig für den Verkauf, ist die Nähe zu den Mitarbeitenden im Laden und damit die Einhaltung der Firmenphilosophie und -werte wichtig.
Bio und Handarbeit
«Wir mussten gegen die Konkurrenz der Grossverteiler, Discounter und Tankstellenshops etwas unternehmen», resümiert Karl Richner. Dabei sei ihnen das Glück beigestanden: Bei der Übernahme von Berner ist die Schokoladefabrik Gysi in Bern geschlossen worden und nach dem Heidi-Deal verkündete Läderach, das B2B-Geschäft stark zu reduzieren.
Bereits seit Jahren stellt Karl Richner Edelpralinen her, dies in Zusammenarbeit mit einem regionalen Weinbauern. Mit dem Bio-Label und der Nachhaltigkeit hätten sie ein Gebiet entdeckt, das noch nicht stark belegt sei. Der Kakao stammt aus Ghana und Madagaskar. Die Nachhaltigkeit wird mit der Unterstützung eines Krankenkassenprojekts für die Dorfbauern zusätzlich hervorgehoben. Die Verpackungen der Bio-Schokoladentafeln ist ebenfalls umweltgerecht, wird sie doch aus dem Abfall der Kakaobohnen hergestellt. Zudem sei alles 100 % Handarbeit, unterstreicht Andi Lüscher.
Das Ehepaar Richner und Andi Lüscher blicken auf drei intensive Jahre zurück. Ihre Bäckerei-Confiserie hat sich innert kürzester Zeit von einem Kleinbetrieb zu einem mittelgrossen Unternehmen entwickelt. Zwei Zahlenbeispiele: 2001, als das Ehepaar Richner das Unternehmen übernahm, waren 15 Personen (10 Vollzeitstellen) angestellt, heute sind es 40 (20 Vollzeitstellen). Bis 2017 produzierte die Bäckerei-Confiserie Richner rund 500 Kilogramm Schokolade, 2022 war es bereits eine Tonne und dieses Jahr rechnet Andi Lüscher mit über 15 Tonnen.
Ein gutes Zusammenspiel
«Wir haben produziert, verkauft, gezügelt, Wände gestrichen, gemauert, zusammengebaut … und zwischendurch noch geschlafen», erzählt Barbara Richner mit einem Schmunzeln. Doch ohne das Mitwirken des ganzen Teams wäre diese Leistung nicht möglich gewesen und dafür sei sie dankbar. Eine Geschäftsleitung, die unter solch einem Höchstdruck während einer längeren Zeit zusammenwirkt, muss harmonieren. Der gegenseitige Respekt sei wichtig und zudem habe jeder sein Gebiet, erklärt Barbara Richner. Ihr Ehemann Karl Richner ist für die Bäckerei-Konditorei verantwortlich, Andi Lüscher für die Confiserie und gemeinsam mit ihm erledigt sie die administrativen Arbeiten, zudem leitet sie den Detailhandel.
Übernamen für Maschinen
Ganz reibungslos liefen die Übernahmen allerdings nicht ab. «Wir mussten Lehrgeld bezahlen», stellt Karl Richner selbstkritisch fest, «und haben viel gepröbelt.» Jetzt, im Gespräch mit «Panissimo», können die drei herzhaft darüber lachen und es werden Anekdote an Anekdote gereiht – «wir könnten ein Buch schreiben …». Es gab einige Feuerwehrübungen, so dass Flexibilität und schnelles Denken gefragt waren. So habe man die Menge der Ware bei beiden Übernahmen unterschätzt. Anfang Jahr musste deshalb kurzfristig eine zusätzliche Lagerhalle im Industriegebiet gemietet werden, sonst hätten all die «wunderschönen Formen und vieles mehr entsorgt werden müssen, was wirklich schade gewesen wäre», stellt Barbara Richner fest.
Für die Dosiermaschine OneShot waren Andi Lüscher, Karl Richner und ein Mitarbeiter drei Tage an einem Kurs. Sie trägt den Übernamen Uschi. Alle Maschinen haben einen Namen. So heisst die Wickelmaschine Trudi – sie wiegt 1,3 Tonnen und wurde bei Gysi in Bern geholt. Käthi ist die Nougat-Eili-Wickelmaschine. Sie ist 70 Jahre alt, stammt von Berner und sei etwas störrisch, wie Karl Richner meint. Ersatzteile dafür gebe es keine mehr. Da sei handwerkliches Können gefragt. Die Wickelmaschine für die Napolitain wurde zerlegt angeliefert. Es galt also, diese ohne Bedienungsanleitung zusammenzusetzen. Zum Glück sind Karl Richner und Andi Lüscher nicht nur Profis in der Bäckerei-Confiserie, sondern auch bei mechanischen Arbeiten. Unerlässlich sind im Übrigen ebenfalls digitale Kenntnisse, über diese verfügt Andi Lüscher.
Drei Kapitäne
Mutig und zielstrebig lotsten die Geschäftsleitungsmitglieder das «Richner»-Schiff durch die nicht immer stillen Gewässer. Kein Wunder hängen im Büro sinnbildlich drei Kapitänsmützen. Doch manchmal mischte sich auch eine gewisse Angst ein. «Es war ein Wechselband der Gefühle. Einerseits viel Euphorie und der Drang vorwärtszugehen, andererseits aber auch ein Respekt vor der Zukunft», erklärt Barbara Richner. Grosse Unterstützung erhielten die drei Branchenleute in dieser Zeit von ihren Mitarbeitenden, ebenso freuten sie sich über die Reaktionen aus der ganzen Schweiz: «Auf einmal sind wir nicht nur in der Region bekannt, sondern schweizweit.» Für Andi und das Ehepaar steht
eines fest: «Wir haben uns mit den beiden Übernahmen technisch, fachlich und persönlich weitergebracht.» Und mehrmals im Gespräch betonen sie, dass alles – vom Brot bis zur Schokolade – pures Handwerk ist und bleiben wird.
Offen für Kundenwünsche
Deshalb erstaunt es nicht, dass es die drei Geschäftsleute nun mal etwas ruhiger nehmen und die Arbeitsabläufe weiter optimieren wollen. Für Kundenfragen seien sie allerdings jederzeit offen. Sie hätten noch Kapazitäten frei und ihre grosse Flexibilität und Kundennähe hätten sie in den letzten Monaten regelmässig unter Beweis gestellt.
Claudia Vernocchi
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Bäckerei Richner AG Veltheim (AG)
- Gründungsjahr: 1847
- Geschäftsleitung: Barbara und Karl Richner, Andi Lüscher
- Mitarbeitende: 40 (20 Vollzeitstellen)
- Lernende: 6
- Verkaufspunkte: 1
- baeckerei-richner.ch