Nachhaltigkeit ist derzeit ein zentrales Thema, auch in der Verpackungsbranche. «panissimo» hat sich mit Selçuk Yildirim, Professor an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW), Life Sciences und Facility Management, unterhalten.

Selçuk Yildirim: «Die verwendeten Verpackungen sollten bezüglich ihrem ökologischen Einfluss kritisch betrachtet werden (…) die Qualität des Produktes sollte nicht darunter leiden.»

Selçuk Yildirim ist Professor an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften, Life Sciences und Facility Management, und leitet das Zentrum für Lebensmittelherstellung und -Verpackung. Das Ziel ist, innovative und nachhaltige Verpackungsmaterialien und -prozesse zu entwickeln, um qua­litativ hochwertige und sichere Lebensmittel gewährleisten zu
können.

Herr Yildirim, wie nachhaltig sind nachhaltige Verpackungen wirklich?
Nachhaltigkeit ist ein breiter Begriff und meist wird nicht das ganze Spektrum betrachtet. Es gibt den sozialen, den ökonomischen und den ökologischen Aspekt. Oft werden die Möglichkeiten bei nachhaltiger Verpackung nicht ausgeschöpft. Das heisst, Verpackungen sind beispielsweise recyclebar, werden aber nicht recycelt. Dasselbe gilt auch für die biologisch abbaubaren Verpackungen, welche nicht biologisch abgebaut werden, sondern im Abfall landen. Der Mehrwert wird nicht «gelebt», die Verpackungen werden nicht korrekt entsorgt.

Zudem darf das «Green Washing» nicht unterschätzt werden. Viele Verpackungen sind als nachhaltig deklariert, obwohl es keinen wissenschaftlichen Nachweis gibt.

Und zu guter Letzt spielt das Verhalten der Konsumentinnen und Konsumenten auch eine wichtige Rolle. Es sind meistens zu wenig Daten darüber vorhanden, ob die Verpackungen vom Endverbraucher, der Endverbraucherin korrekt entsorgt werden oder nicht. Zum Beispiel der Joghurt-Plastikbecher mit Karton drum. Die Konsumentinnen und Konsumenten sind zwar informiert, dass der Karton separat entsorgt wird, aber meist landet trotzdem die gesamte Verpackung im Müll.

«Viele Verpackungen sind als nachhaltig deklariert, obwohl es keinen wissenschaftlichen Nachweis gibt.»


Sind wiederverwendbare, rezyklierbare oder biologisch abbaubare Verpackungen nachhaltiger?
Generell kann ich es nicht bewerten. Recycling ist ein wichtiger Aspekt. Denn der Bedarf an Rohstoffen wird reduziert und ist definitiv die nachhaltigere Option. PET, Glas und Metall werden in der Schweiz sehr vorbildlich wiederverwertet. Und Recycling braucht viele Ressourcen – aber weniger als eine neue Verpackung. Ein grosser Anteil der flexiblen Verpackungen kann jedoch nicht recycelt werden, da diese aus einer Kombination von unterschiedlichen Materialien bestehen. Diese sind zurzeit nicht nachhaltig trennbar. Ziel ist, solche Kunststoffe zukünftig mit Monomaterialen (Verpackung, die nur aus einem Material besteht) zu ersetzen. Wir forschen an der ZHAW zurzeit daran.

«Es wäre extrem aufwändig, für jede einzelne Verpackung eine Öko-Bilanz zu erstellen.»
Bei wiederverwendbaren Verpackungen müssen alle Blickwinkel betrachtet werden: die Ressourcen fürs Abwaschen, für den Transport usw. Das Problem bei biologisch abbaubaren Verpackungen: Sie verfügen nicht über die Eigenschaften von klassischen Kunststoffen (Wasserdampf- und Gasbarriere), die für die Haltbarmachung von Lebensmitteln sehr wichtig sind. Zudem werden diese oftmals aus dem Kompost gefischt, weil nicht klar ist, dass sie biologisch abbaubar sind.

Ist Plastik zurecht umstritten?
Plastik ist so gut, dass es mehrere 100 Jahre in der Umwelt «überleben» kann. Auf der einen Seite ist es erstaunlich, dass wir Menschen im Stande sind, ein solches Material zu entwickeln. Auf der anderen Seite beträgt der Lebenszyklus von Plastik durchschnittlich nur ein Jahr. Es kommt darauf an, was wir danach damit machen. Wenn es verbrannt und daraus Energie gewonnen oder es wiederverwendet wird, super! Wenn es in der Umwelt landet: nicht gut!

Besteht für jede Verpackung eine Öko-Bilanz?
Nein. Es gibt Millionen unterschiedlicher Verpackungen und es wäre extrem aufwändig, für jede einzelne eine zu erstellen. Für eine Neuentwicklung sollte die Öko-Bilanz unbedingt mit denjenigen von bestehenden Verpackungen verglichen werden. Die Bewertung der Nachhaltigkeit einer Verpackung ist sehr komplex, da meist sehr viele Materialen sowie Herstellungsschritte nötig sind und die Rohstoffe von überall auf der Welt bezogen werden. Aber mit Studien ist es machbar. Wir sind daran, ein Projekt aufzugleisen, um eine Öko-Bilanz für die meist benutzen Verpackungen zu erstellen.

«Food Waste verursacht viel mehr Umweltschäden als was durch die Verpackung gespart werden kann.»


Was sind smarte und innovative Verpackungen?
Klassisch werden Verpackungen nur als passive Barriere für den Schutz von Lebensmitteln verwendet. Ziel ist, diesen Schutz mit aktiven und intelligenten Funktionen zu erweitern. Beispielsweise entwickeln wir Verpackungen, die überflüssigen Sauerstoff in einer Verpackung entfernen können. Somit kann die Oxidation vom Lebensmittel oder das Wachstum von Schimmel verhindert werden. So müssen weniger bis keine Konservierungsstoffe mehr verwendet werden. Dadurch soll es zukünftig möglich sein, dass zum Beispiel Backwaren nicht mehr gekühlt aufbewahrt werden müssen.

Wie lautet Ihre Empfehlung für die Bäckereien-Confiserien?
Die verwendeten Verpackungen sollten bezüglich ihrem ökologischen Einfluss kritisch betrachtet werden. Jedoch, wenn man nachhaltigere Alternativen nutzen möchte, sollte unbedingt beachtet werden, dass die Qualität des Produktes nicht darunter leidet. Food Waste verursacht viel mehr Umweltschäden als was durch die Verpackung gespart werden kann.

Nachhaltigkeit im Richemont-Fachblatt
Mehr interessante Informationen zum Thema Nachhaltigkeit gibt es im Richemont-Fachblatt vom November zu lesen.

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