Bäckergesellin Alva und Bäckergeselle Tobi sind auf der Walz: Seit vier, respektive fast drei Jahren reisen die beiden durch Europa, um in verschiedenen Backstuben arbeiten zu können. Aktuell sind die beiden Wandergesellen bei Bread à Porter in Bern tätig – aber nicht lange.
«Ich bin Tobi, fremder Bäcker und Konditor bei den vereinigten Löwenbrüdern und -schwestern Europas.» – «Und ich bin Alva, fremde Bäckerin bei den vereinigten Löwenbrüdern und -schwestern Europas.» In traditioneller Kluft präsentieren sich die beiden jungen Berufsleute vor der Backstube von Bread à Porter in Bern. Mit dem Berner Münster im Hintergrund ein Bild wie aus vergangenen Zeiten.
Von Irland bis nach Italien
Doch das auffällige Bild ist, ganz im Sinne der Walz (so heisst die Wanderschaft üblicherweise), nicht von Dauer: Die Tradition der «Wanderjahre» schreibt es vor, dass sie maximal drei Monate am selben Ort beschäftigt sein dürfen. Dieser Umstand brachte die beiden weit herum. «Das ist das Coole an der Wanderschaft», findet die 26-jährige Alva. Sie ist seit vier Jahren unterwegs und war schon in Irland, Österreich und Italien. Tobi, der drei Jahre älter ist, war dagegen «mehr im deutschsprachigen Raum unterwegs», wie er selber sagt.
Willkommene Fachkraft
Seit Mitte September arbeitet der Bäckergeselle aus Mönchengladbach (D) mit dem schwarzen Zylinder und dem auffälligen Ohrring nun in Bern. Er folgte dem Ruf eines befreundeten Steinmetzes: «Wie auf Wanderschaft üblich, hat er eingeladen, ihn das letzte Stück nach Hause zu begleiten.» Einmal in der Hauptstadt angekommen, wollte Tobi sich die Gelegenheit auf einen Job nicht entgehen lassen und fragte in den umliegenden Bäckereien herum. Bei Bread à Porter sei er als Fachkraft eine willkommene Unterstützung für das Weihnachtsgeschäft, wie er erzählt.
Glück im Unglück
«Ich wollte Tobias besuchen und dann eigentlich zum Eigenbrötler», meint Alva. Da am Tag ihrer Ankunft in Bern in der Backstube aber jemand verunfallte, konnte sie ihr Kollege kurzerhand vermitteln. «Glück im Unglück», meint dieser. Während Tobi im Sinne der Walz noch bis Mitte Dezember in Bern weilen wird, zieht Alva Mitte Januar weiter.
Ans andere Ende der Welt
Welche Station die beiden wohl als nächstes anpeilen? «Wir wollen gemeinsam nach Neuseeland», überrascht Tobi. «Meine obligatorischen drei Jahre wären in einem Monat voll, aber jetzt will ich noch einmal richtig weit weg.» Alva schliesst sich ihm an: Es wird ihre letzte grosse Reise sein. «Ich bin jetzt seit vier Jahren unterwegs und plane 2026 nach Hause zu gehen. Quasi noch eine letzte, richtig weite Auslandsreise.»
Warum tut man sich das an?
«Früher diente die Walz im Handwerk als Vorbereitung für die Meisterprüfung. Als Meister musstest du bewandert sein», erklärt Tobi den Ursprung der Wanderjahre. Der Umgang mit den traditionellen Regeln fordert einen als jungen Menschen, fördere die Selbstkompetenzen und Soft Skills. Dadurch stellt sie eine tiefgehende Vorbereitung auf das Berufsleben dar, besonders wenn einmal ein Betrieb geführt werden soll.
Seine Kollegin rühmt der persönliche Gewinn, ein solches Abenteuer ohne Angst anzugehen. «Leute träumen davon, die Welt zu sehen und Leute kennen zu lernen,» meint Alva und resümiert: «Es ist der Traum im Endeffekt.»
Diego Schwerzmann
Die Tradition der Walz
Während der Wanderschaft gelten auch heute noch spezielle Regeln. «Der Sinn dahinter ist nicht nur den fachlichen Horizont zu erweitern, sondern auch sich persönlich zu entwickeln.»
- Für drei Jahre und einem Tag dürfen die Gesell/innen sich ihrer Heimat nicht mehr als 50 Kilometer nähern.
- Eine Anstellung an einem Ort dauert maximal drei Monate. So müssen regelmässig neue Betriebe aufgesucht werden.
- Wer sich gerade in keinem Anstellungsverhältnis befindet, darf für Unterkunft und Fortbewegung in der Regel kein Geld ausgeben.
- Elektronische Geräte wie Mobiltelefone oder Laptops werden nicht mitgenommen.
- Als Strassenkleidung dient die massgeschneiderte Kluft. Sie kennzeichnet die Wandergesellen und helfe beim Vorankommen oder der Suche nach einer Unterkunft, wie beide betonen.
Aktuell seien insgesamt um die 500 Gesell/innen aus allen möglichen Handwerksberufen in Europa auf Wanderschaft. «Darunter sind circa 20 Bäcker,» meint Tobi und fügt an: «Jeder aus einem Handwerk kann auf die Walz gehen, nicht nur Zimmerleute.»