Simon Reinle ist Bäcker-Konditor in fünfter Generation der Familienbäckerei Stritmatter in Rekingen (AG). Vor rund acht Jahren hat Simon Reinle seinen Koffer gepackt und lebt und arbeitet seither in Chile. In einer mehrteiligen Serie gibt er Einblicke in sein Leben in Südamerika und erzählt über seine Erfahrungen in der chilenischen Bäckerei-Konditorei-Branche.

Teil 1 der Serie

Seit rund acht Jahren lebe und arbeite ich in Santiago de Chile (Hauptstadt von Chile) als Schweizer Bäcker-Konditor der fünften Generation. Ein Abenteuer mit Höhen und Tiefen wie in jedem Leben, aber insbesondere mit zahlreichen neuen und spannenden Herausforderungen.

Chile ist ein Land, welches die südamerikanische Kultur hervorragend mit einem gut entwickelten und weltoffenen Staat verbindet – politisch wie auch wirtschaftlich. Die chilenische Bäckerei-Konditorei-Branche hat ebenfalls eine interessante Entwicklung hinter sich, die aber noch lange nicht abgeschlossen ist, denn sie bietet viele Möglichkeiten. Möglichkeiten für Projekte mit internationalen Berufs- und Ausbildungsinstitutionen sowie mit einem grossen Markt für Rohstoffe und Technologien aus dem Ausland. Die Schweiz ist, wie auf der ganzen Welt, auch in Chile in verschiedenen Wirtschaftsbereichen vertreten. Bis heute leider aber kaum im chilenischen Bäcker-Konditor-Gewerbe. Dies macht mich als Repräsentant der Schweizer Bäckerei-Konditorei-Traditionen oft zum Einzelkämpfer. Aber beginnen wir am Anfang meiner Geschichte in Chile.

Chile: Zufall oder Schicksal?

Elf Jahre ist es her, als ich das Verlangen spürte, eine Auszeit aus meinem Schweizer Arbeitsalltag zu nehmen. Zu diesem Schritt inspiriert hat mit unter anderem René Fleischli, ein grossartiger Bäcker-Konditor und Arbeitgeber. Hinzu kam ein zufälliger Kontakt zu einem kleinen Hotel im Süden von Chile. Obwohl ich bis zu diesem Zeitpunkt so gut wie nichts über dieses Land wusste, plante ich spontan meine erste Reise dorthin. Während eines halben Jahres unterstützte ich ein Schweizerisch-Chilenisches Ehepaar dabei, seinen Traum von einem kleinen Hotel mit Restaurant zu verwirklichen. Das war der Anfang von einem Abenteuer, das bis heute andauert. Ein Jahr später, während meines zweiten Aufenthaltes, dieses Mal als Reisender, wurden die Pläne einer Auswanderung immer klarer. Und so begann ich – wiederum ein Jahr später – vor rund acht Jahren, mein neues Leben in Santiago de Chile.

Da war ich nun, ein Schweizer Bäcker-Konditor, mit 20 Jahren Berufserfahrung in Schweizer Bäckereien, Konditoreien und Hotels. Angekommen in einem Land mit einer Mentalität, die unterschiedlicher zu der gewohnten aus der Heimat nicht sein könnte – im Alltag wie auch in unserer Branche. Viele Auswanderer machen sich direkt selbständig. Ich habe mich dazu entschieden, zuerst die chilenischen Bäckereien und Konditoreien und deren Mentalität im Herzen der Produktion kennenzulernen. Dank meiner Schweizer Ausbildung und Berufserfahrung, der Hilfe der Schweizer Botschaft und der Schweiz-Chilenischen Handelskammer kam ich schnell zu Kontakten und Arbeitsangeboten. Eins stach sofort heraus: Eine aufstrebende Konditorei mit österreichischen Wurzeln suchte in Santiago einen Fachmann zur Unterstützung bei der Vergrösserung und Modernisierung ihrer Produktion. Als gute Nachbarn Schweiz-Österreich und in deutscher Sprache, wurden wir uns schnell einig.

Mangelhafte Arbeitsmentalität und fehlendes Fachwissen

Meine neue Arbeit in Chile begann damit, die gesamte Produktion zu analysieren: von Rezepten und Rohstoffen, über die Infrastruktur, bis zu Arbeitssystemen und Mitarbeitenden. Ziel war es, Probleme zu entdecken und Lösungen zur Verbesserung zu finden. Diese Arbeit gab mir gleichzeitig die Möglichkeit viel über das Land, die chilenische Bäckerei-Konditorei-Branche, die Menschen und ihre Arbeitsmentalität zu lernen. Schnell stellte ich fest, dass nebst der chilenischen Arbeitsmentalität, der Mangel an Berufsausbildung und Fachwissen eine grosse Herausforderung bei meiner Arbeit sein wird. In Chile ist die Bäckerei-Konditorei bis heute kein eigenständig anerkannter Berufszweig, sondern wird der Gastronomie untergeordnet. Diese widmet sich aber hauptsächlich der Küche. Hinzu kommt, dass Gastronomieausbildungen von verschiedenen Universitäten angeboten werden. Unabhängig von Berufsorganisationen oder Lehrbetrieben muss diese rein schulische Ausbildung von den Studenten selbst bezahlt werden. Jede Universität hat ihren eigenen Lehrplan, wobei die meisten nur wenig bis keine Bäckerei-Konditorei beinhalten. Auch gibt es in Chile keinen nationalen Berufsverband für Bäcker-Konditoren, der auf dieses Ausbildungssystem Einfluss nehmen könnte, so wie wir es in der Schweiz kennen. Das führt dazu, dass in Chile aktuell viele junge Bäcker und Konditoren motiviert und talentiert sind, aber kaum die Möglichkeit haben, eine gute Berufsausbildung zu geniessen. Ein Problem. das über die Jahre meinen beruflichen Werdegang in Chile immer mehr geprägt hat. …

Teil 2.

Simon Reinle

Live im chilenischen Fernsehen (Frühstückssendung im Kanal MEGA).
Ausritt im Süden von Chile (Lonquimay, Araucania).

Das könnte Sie auch interessieren

Ein wenig Schweiz in der chilenischen Bäckerei-Konditorei – Teil 2

Wertschöpfungskette von Walliser Roggenbrot gesichert