Die Ostschweizer Branchenfrau Anna Lehmann hat in den letzten etwas mehr als zehn Jahren Ausserordentliches geleistet. Dafür wurde sie im Herbst 2023 mit dem Unternehmerinnenpreis der KMU-Frauen Thurgau ausgezeichnet. Wir wollten mehr über diese beeindruckende Unternehmerin erfahren und besuchten sie in der Bio-Beck Lehmann in Lanterswil (TG).
Mehrmals wurden wir von ehemaligen Mitarbeitenden und Branchenleuten auf Bio-Beck Lehmann im 150-Seelen-Dorf Lanterswil aufmerksam gemacht. Die Gründe sind vielschichtig: Das angenehme Arbeitsklima, die Integration von Menschen mit Beeinträchtigung, die Qualität der Produkte und die Persönlichkeit von Anna Lehmann schlechthin.
Es begann 1976 …
Ihre Eltern, Mares und Andreas Lehmann, leisteten 1976, als sie ihre kleine Bäckerei in Lanterswil eröffneten, in der Bio-Bäckerei Pionierarbeit. In den 90er-Jahren produzierten sie die ersten veganen Produkte, als diese in der Öffentlichkeit noch kein Thema waren.
Das Ehepaar Lehmann regelte auch rechtzeitig die Nachfolge, die Übergabe ging mit einem grösseren Wachstum einher und gelang nicht optimal. Nach einer interimistischen Geschäftsleitung stand die Firma gar auf wackeligen Beinen. Rettungsanker in dieser Situation war Tochter Anna Lehmann, die als Architektin in Zürich arbeitete. Innerhalb von nur 14 Tagen hatte sie eine grosse Entscheidung zu treffen: Architekturjob in der Weltstadt Zürich oder Bäckereileiterin in einem kleinen Dorf im Thurgau. Sie entschied sich fürs Wagen und ist «voll eingestiegen, ohne finanzielle Mittel».
Nach fünf Jahren wollte Anna Lehmann ein Fazit ziehen. Bereits im ersten Halbjahr erreichte sie das Budget und Ende Jahr schrieb das Unternehmen wieder schwarze Zahlen, «ohne viele Massnahmen», wie die Thurgauer Branchen-frau betont. Es ging wirtschaftlich bergauf. Lieferaufträge für die Gastronomie und im Biofachhandel konnten stetig ausgebaut werden. Rund 85 % beträgt heute der Lieferanteil bei Bio-Beck Lehmann.
Ein Neubau der besonderen Art
2016 machte sich Anna Lehmann an die Planung eines Neubaus. Denn die alte Produktion «war ein Flickwerk!» Sie konzipierte den Bau. Das Budget von 2,8 Mio CHF wurde am Ende um CHF 200 000 unterschritten. Anna Lehmann wusste genau, was sie wollte: Räume mit einer Mehrfachnutzung, die flexibel eingesetzt werden können. So hat es beispielsweise im Dachgeschoss einen Ruheraum, der auch für Yogalektionen genutzt wird. Von da aus sieht man auf die Büros und im Hintergrund nimmt man die Mitarbeitenden beim Kaffeetrinken oder im Büro wahr.
Die Aussicht allgemein ist toll: Die Umgebung ziert ein liebevoll vom Ehepaar Lehmann gepflegter Zier- und Nutz-Garten mit Naturteich. Es wurden LED-Lampen montiert und auf eine ausgewogene Energieversor-gung geachtet: Solar (200 m2), Gas, Pellets und Strom. Wer hochmoderne Technik sucht, ist fehlt am Platz: Eine natürliche Lüftung, viel Holz mit robuster Oberfläche, aber kein Chalet-Stil. Kein Wunder fühlt sich die Besucherin, wenn sie das Gebäude betritt, auf Anhieb wohl. «Ich habe Wert auf eine gute Atmosphäre gelegt», erklärt Anna Lehmann.
«Unser Anspruch ist, etwas Gutes zu produzieren. Jeden Tag. Immer wieder.»
Anna Lehmann
Es gibt beispielsweise keine typische Mensa, sondern einen grossen Raum, in welchem am Mittag gemeinsam gegessen wird, aber auch Kurse durchgeführt werden oder gebügelt wird. Die Garderoben und Duschen befinden sich bewusst nicht im Keller, sondern im Obergeschoss im administrativen Bereich. Das Credo «Auf Menschen, Rohstoffe und auf die Natur achtgeben» wird in allen Bereichen gelebt. «Unser Anspruch ist, etwas Gutes zu produzieren. Jeden Tag. Immer wieder», betont Anna Lehmann.
Ihr Blick in die Zukunft ist zuversichtlich. Die grösste Herausforderung sei, zum Unternehmen auch Abstand gewinnen zu können, doch das habe sie im Griff, versichert Anna Lehmann. Sie fühlt sich in ihrem «neuen», abwechslungsreichen Job wohl. Sie lerne viele Menschen kennen und viel über sich selbst. «Ich hatte viel Glück und konnte auch von der Wachstums-phase vor meiner Zeit profitieren und von meinem super Team im Kader, wo sehr hohe Kompetenz und Menschlichkeit zusammen treffen …», hält Anna Lehmann zum Schluss fest.
Claudia Vernocchi