Ist die Energiestrategie 2050 eine Mogelpackung oder eine Erfolgsgeschichte des Schweizerischen Gewerbeverbandes (sgv)? Darüber diskutierten die beiden Nationalräte Lorenz Hess (BDP) als Befürworter und Hansjörg Knecht (SVP) als Gegner der Vorlage vor dem SBC-Zentralvorstand.
Das Parlament hat im Herbst vergangenen Jahres das erste Massnahmenpaket zur Energiestrategie 2050 verabschiedet. Dagegen ist das Referendum ergriffen worden. Die Vorlage gelangt am 21. Mai zur Abstimmung. Der Zentralvorstand empfiehlt die Vorlage klar zur Ablehnung
Kostenlawine droht
«Diese Abstimmung wird insbesondere unsere KMU-Betriebe betreffen», warnte den Aargauer Unternehmer Hansjörg Knecht gleich zu Beginn seines Kurzreferats und bat die Delegierten, dieses «teure und interventionistische Gesetz» abzulehnen. Dieses würde eine Kostenlawine von 200 Milliarden Franken auslösen. «Das Bedenkliche ist, dass der einfache Bürger und die KMU die Rechnung bezahlen müssen!»
Grossbetriebe profitieren
Die energieintensiven Grossbetriebe erhielten Ausnahmen – «die sind erkauft worden!» So müsse auch Coop in Schafisheim nicht die ganze Belastung tragen. «Das ist ein massiver Konkurrenznachteil», kritisierte Knecht die Vorlage. Er prophezeite auch, dass mehr Bürokratie und Regulierungen auf das Gewerbe zufallen werden. Als unrealistisch beurteilte er das Ziel, den Energieverbrauch bis 2035 um 43 % zu senken.
«Der Grundgedanke dieser Energiestrategie ist unliberal!» Als Unternehmer habe er selber ein Interesse an mehr Energieeffizienz. Der Staat müsse ihm allerdings nicht vorschreiben, was er zu tun habe.
Die Zähne gezogen
Für den Berner Nationalrat Lorenz Hess wäre es eine Katastrophe, würden die Voraussagen seines Vorredners tatsächlich eintreffen. «Gott sei Dank hat man der Energiestrategie 2050 die Zähne gezogen! Einige sagen sogar, sie sei nun ein zahlloser Papiertiger.» Das einschneidende Lenkungssystem ist vom Parlament gestrichen worden. Bei allem, was ab 2020 ist, hätten die Parlamentarier und das Volk die letzte Stimme, versicherte Hess.
Positive Folgen
Zu dieser Erfolgsgeschichte habe der Schweizerische Gewerbeverband (sgv) wesentlich beigetragen. Viele Vorschläge und Anträge des Gewerbeverbandes sind angenommen bzw. umgesetzt worden. Das einzig Negative und Belastende sei, dass der Strompreis um einen Rappen pro Kilowattstunde steige. Für eine Grossbäckerei mit 150 Mitarbeitenden und 110 Vollzeitstellen mache dies jährlich 50 CHF Mehrkosten pro Angestellten, errechnete Hess. Er wies im Gegenzug auf die positiven Folgen hin: Steigerung der Energieeffizienz, Förderung der erneuerbaren Energien, unter anderem der Wasserkraft – «was für uns Gold ist» – und schrittweiser Atomausstieg ohne Rahmenbedingungen.
Wählen zwischen Pest und Cholera
Für Stéphane Oberson ist es ein Wählen zwischen Pest und Cholera. Es brauche mehr erneuerbare Energien und weniger Hindernisse für deren Inbetriebnahme, damit wir unabhängig werden. Hess gab zu, dass der Anteil in der Energiestrategie 2050 klein ist. Doch werde der Landschaftsschutz künftig nicht höher gewichtet als die Versorgungssicherheit. Knecht betonte, dass es bei dieser Gesetzgebung nicht um die Kernenergie gehe.
Ein ambitiöses Ziel
Wilhelm Ohnmacht fragte sich, wie das Ziel einer Senkung des Energieverbrauchs um 43 % erreicht werden könne, wenn immer mehr Elektronik und Elektroautos zum Einsatz kämen. Es sei tatsächlich ein ambitiöses Ziel, antwortete Hess. «Es ist auch möglich, dass man die Ziele nicht erreichen kann.»
Ein Bauchentscheid
Er habe vor der Debatte viele offene Fragen gehabt, so Jean-François Leuenberger. Jetzt habe er noch mehr, meinte er. «Für mich ist es ein Bauchentscheid.»
Nicolas Perriard zeigte die Diskrepanz innerhalb des sgv auf, da dessen Präsident und SVP-Nationalrat Jean-François Rime sich im welschen Radio gegen die Vorlage ausgesprochen hat.
In einem Punkt waren sich die zwei Parlamentarier einig, nämlich bei der Frage von Präsident Silvan Hotz, ob der Bund eigenmächtig Verordnungen bestimmen kann, wenn die 43 %-Reduktion nicht erreicht wird: Ein eindeutiges Nein. Eine Gesetzesanpassung werde den ordentlichen Weg über das Parlament gehen, müsse aber nicht zwingend dem Volk vorgelegt werden, ergänzte Knecht.
Klare Ablehnung der Vorlage
Nach einer engagiert und fair geführten Diskussion, die von SBC-Direktor Urs Wellauer modieriert wurde, setzten die ZV-Mitglieder ein klares Signal: Sie lehnten mit 12 Nein- und 6 Ja-Stimmen, bei 5 Enthaltungen die Energiestrategie 2050 ab.