Der 31. Mai war der letzte offizielle Arbeitstag von Markus Lötscher bei Pistor AG in Rothenburg (LU). 14 Jahre lang leitete der abgetretene CEO die Geschicke des Unternehmens, das sich zu einem der grössten Grosshandelsfirmen im Gastro-, Bäckerei-Confiserie- und Pflegebedarf in der Schweiz entwickelt hat. «Panissimo» traf sich kurze Zeit nach seinem letzten Arbeitstag bei Pistor im Bäcker-Confiseurhaus in Bern.
Herr Lötscher, bis vor ein paar Tagen war Ihre Agenda sicher prallvoll mit Terminen und Todos. Herrscht nun gähnende Leere?
Nein, die Agenda ist aktuell leider sehr voll. Meine Ehefrau sieht mich nicht mehr als vorher.
Ihre Antwort erstaunt mich …
Vielleicht ist das am Anfang auch gut so. Doch Ich hoffe, dass dies im Verlaufe der nächsten Monate zurück gehen wird. Nun gehen wir mal gemeinsam in die Ferien.
Ich wage eine indiskrete Frage: Alles noch Pistor-Termine?
Nein, gar keine mehr. Es ist ganz wichtig, dass es einen klaren Schnitt gibt. Ich bin Geschichte. Punkt. Patrik Lobsiger und sein Team müssen ungestört arbeiten können.
Wie geht es Ihnen in einer Skala von 1 bis 10?
Sehr gut. Ich habe meine Zeit und Arbeit bei Pistor geliebt. Die Menschen vermisse ich. Es ist aber auch sehr bereichernd, nochmals einen neuen Lebensabschnitt anfangen zu dürfen mit dem Ziel, die beruflichen und privaten Inhalte noch mehr in Einklang zu bringen. Ich bin mir bewusst, dass ich ein grosses Privileg habe, dies zu tun.
Sie werden künftig sicher vermehrt zu Hause anzutreffen sein. Deshalb die Frage: Wie steht Ihre Ehefrau zu Ihrer beruflichen Veränderung?
Aktuell bin ich, wie gesagt, leider noch nicht viel zu Hause. Wir haben viele gemeinsame Interessen und daher ist es auch unser Ziel, die Zeit vermehrt zusammen zu verbringen. Es muss ja nicht immer zu Hause sein. Zudem haben wir zusammen eine Beraterfirma gegründet.
Wie haben Sie sich auf die Zeit danach vorbereitet?
Wir hatten die notwendige Zeit uns vorzubereiten, da wir uns ja bereits vor vier Jahren definitiv zu diesem Schritt entschieden hatten. Wir haben uns detailliert mit den verschiedenen Themen auseinandergesetzt, die bei einer Selbständigkeit aktuell werden. Wir haben mit vielen Leuten, die uns wichtig sind, Gespräche geführt. Weiter haben wir uns auch von Experten beraten lassen.
Zudem waren wir mal 13 Monate auf einer Weltreise. Wir kennen uns gut und wir sind sehr optimistisch (Markus Lötscher schmunzelt).
Worauf freuen Sie sich am meisten?
Ich freue mich auf meine neuen Aufgaben. Ich werde neue spannende Unternehmen, neue Branchen und Persönlichkeiten kennenlernen, werde mein Wissen weitergeben und beratend zur Seite stehen können. Weiter freue ich mich darauf, den Wochenverlauf individueller planen zu können.
Wovor haben Sie Respekt?
Ich habe Respekt, dass ich die mit der eingeleiteten beruflichen Veränderung an mich selbst gestellten Erwartungen nicht erfüllen kann. Am Schluss liegt es an jedem von uns selbst, seine Ziele und Erwartungen zu erreichen. Daher bleibe ich zuversichtlich.
Sie sprechen von Ihren Erwartungen. Können Sie uns diese umschreiben?
Ich habe mir fest vorgenommen, dass ich mich nur dort engagiere, wo ich einen Mehrwert bieten, etwas bewirken kann. Es müssen Diskussionen stattfinden und gemeinsam Lösungen erarbeitet werden. Natürlich kann es auch sein, dass die Erwartungen nicht erfüllt werden. Doch ich bleibe zuversichtlich und ich werde darum kämpfen, dass ich meinen Mehrwert, meine Erwartungen in ein Unternehmen oder eine Organisation einbringen kann. Wenn ich sehe, dass damit fahrlässig umgegangen wird, dann bin ich der Falsche.
An der Pistor-Generalversammlung vom 17. Mai sind Sie mit Standing Ovation verabschiedet worden. Ein wunderbares Zeichen der Anerkennung für Ihre geleistete Arbeit. Wie ist es Ihnen auf der Bühne ergangen?
Es war ein sehr schönes, aber auch ein emotionales Gefühl. Ich durfte während all den Jahren als CEO diese Wertschätzung spüren. Ich habe die Zusammenarbeit mit unseren Eigentümern immer geschätzt. Wir waren uns nicht immer einig, haben aber in der gemeinsamen Diskussion vielfach gute Lösungen für die Genossenschaft gefunden. Es ging nie um Personen, sondern immer um die Pistor und die Genossenschafter.
Rückblickend auf Ihre 14 Pistor-Jahre – worauf sind Sie besonders stolz?
Am meisten stolz bin ich auf die guten Mitarbeitenden, die wir bei der Pistor haben und auf die strategischen Ansätze, die wir über die Jahre entwickelt haben und nun sehen, dass vieles davon aufgeht. Ich sage immer, der Star bei Pistor ist die Firma und der Mitarbeiter. Weiter erfüllt mich die gute Zusammenarbeit mit dem Verwaltungsrat mit Stolz – wir pflegten eine «kritische Harmonie», alle mit dem gleichen Ziel vor Augen, die das Unternehmen weiterbringt.
Ich bin auch stolz darauf, dass wir heute ein entspanntes, gutes Verhältnis zum SBC haben. Heute tauschen wir uns regelmässig mit der Verbandspitze aus und wissen, welche Themen die Branche bewegen. Dieses gegenseitige Verständnis hilft der ganzen Bäcker-Confiseur-Branche. …
… und was hätten Sie besser machen können?
Ich hätte vieles besser machen können. Wir waren teilweise in unseren Entscheidungen zu langsam oder lagen sogar falsch mit unseren Einschätzungen. Glücklicherweise konnten wir vieles rechtzeitig korrigieren, sodass es nicht zu einem grösseren Problem für die Firma wurde. Beispielsweise hätten wir die Digitalisierung konsequenter und schneller vorantreiben müssen. Wir haben zu lange zugewartet, bevor wir entschieden und umgesetzt haben.
… da ist Pistor wohl kein Einzelfall …
… ja, aber wir hätten besser sein können, beispielsweise in Bezug auf die Cyber-Kriminalität. Jetzt geben wir richtig Gas, aber wir hätten dies früher realisieren sollen.
Was hat Sie besonders überrascht?
Es hat mich sehr überrascht, wie schnell nach der Pandemie unsere Kundinnen und Kunden wieder zulegen. Vor einem Jahr waren wir noch mit tiefen Umsätzen und einem grossen Kostenfokus unterwegs. Ein Jahr später befassen wir uns mit Rekordumsätzen, vielen Neukunden und Verfügbarkeitsthemen. Mittelfristig haben wir das Wachstum erwartet, aber nun geht es sehr schnell.
Welches war Ihr herausforderndster Moment?
Es waren die Momente, wenn Mitarbeiter viel zu jung aus dem Leben schieden. Wir hatten in den letzten 14 Jahren mehrere natürliche Todesfälle von guten Mitarbeitern, die plötzlich nicht mehr da waren. Solche Situationen machen mich sehr betroffen und auch frustriert.
Welches war einer Ihrer lustigsten Momente?
Glücklicherweise gab es sehr viele lustige Momente. Wir konnten fast täglich aus irgendeinem Grund zusammen lachen. Ich glaube auch, dass es sehr wichtig ist, zusammen zu lachen und zu feiern. Wir verbringen so viel Zeit zusammen bei der Arbeit, da muss man gemeinsam lachen können.
Die lustigsten Momente waren immer die, wenn es zu einer Verwechslung kam. Einmal hielt mich ein Chauffeur für den neuen Speditions-Mitarbeiter, den er anlernen musste. Na ja, so lustig war es zuerst nicht für mich, musste ich doch ziemlich unten durch.
Welche Note geben Sie dem Unternehmen Pistor AG zum Zeitpunkt Ihrer Stabsübergabe?
Eine gute Note. Wir sind bereit für die Zukunft. Aber Achtung, es wird kein Spaziergang, es gibt für meinen Nachfolger viel zu tun. Er wird Anpassungen an der strategischen Ausrichtung vornehmen, wichtige komplexe Projekte mit dem Kader und den Mitarbeitern erfolgreich umsetzen müssen. Es wird nicht einfacher. Der Markt ist äusserst anspruchsvoll und wir (die Pistor) tun gut daran, mit voller Konzentration die Zukunft zu planen.
Zum Glück hat die Firma mit Patrick Lobsiger einen fähigen, tüchtigen neuen Chef. Zusammen mit seinem Team wird er die Pistor Zukunft erfolgreich gestalten.
Was geben Sie Ihrem Nachfolger Patrick Lobsiger mit auf den Weg?
Er braucht keine Ratschläge von mir. Er wird seinen Weg gehen und es kommt gut für die Eigner und die Firma. Ich bin begeistert von Patrick.
Was braucht es, um ein Unternehmen wie Pistor erfolgreich zu führen?
Es braucht ganz viel: Einerseits eine Unternehmenskultur, die sämtliche Anspruchsgruppen abgeholt werden. Die Mehrheit der Mitarbeitenden muss sich wohlfühlen. Der Dialog mit den Mitarbeitenden ist wichtig, zu erfahren, was sie beschäftigt, negativ wie auch positiv. Zu erfahren, was sie sich wünschen, was sie erreichen wollen. Das ist aber nur ein kleiner Teil. Es ist ebenso wichtig, eine Dialogkultur mit den Kundinnen und Kunden zu pflegen. Der Kunde soll spüren, dass nicht nur das Geschäft wichtig ist, sondern, dass es das Bestreben der Pistor ist, ihn über eine längere Zeit zu begleiten und zufriedenzustellen. Von Bedeutung sind jedoch auch Anspruchsgruppen wie eine Gemeinde oder ein Verband.
… beispielsweise die Partnerschaft mit dem SBC …
Ja, genau. Es ist nicht so, dass wir mit unseren Meinungen immer deckungsgleich unterwegs waren. Aber wir müssen eine Kultur pflegen, wo Fehler verziehen und nicht Personen in Frage gestellt werden. Und um ehrlich zu sein: Es braucht auch die nötigen finanziellen Mittel, um erfolgreich sein zu können. Wenn du nur dem Geld nachrennen musst, kannst du nichts entwickeln.
Wir hatten bei der Pistor das grosse Glück, dass die Mehrheit der Genossenschafter mit den Investitionen und der Weiterentwicklung der Pistor einverstanden war und dafür gesorgt hat, dass ein Teil dieser Gelder in der Firma geblieben ist.
Es ist auch unabdingbar, dass du in deinem Unternehmen die Zeit dafür reservierst, um dich den wichtigen Themen zu widmen.
Und du brauchst Glück, die richtigen Personen zu treffen, die bereit sind, den eingeschlagenen Weg gemeinsam zu beschreiten und wenn nötig zu korrigieren.
Sie haben den Dialog angesprochen. Eine der USPs der Pistor sind ihre Dienstleistungen an ihre Kund*innen. Die Pandemie hat die Verbundenheit des Unternehmens mit unserer Branche deutlich aufgezeigt und die Dankbarkeit gegenüber der Pistor war an den Frühlingsversammlungen der Kantonalverbände stark spürbar …
Wir haben in der Pandemie auf unsere Kosten geachtet. Gleichzeitig haben wir es geschafft, mit verschiedenen Massnahmen, unsere Beziehung vor allem zu den Genossenschaftern zu stärken. Und hier haben unsere Mitbewerber ihren Job nicht so gut gemacht.
Zudem haben die Mitarbeitenden in der Pandemie gemerkt, was sie an der Pistor haben. Wir haben uns in dieser Zeit um sie gekümmert. Von unseren Mitarbeitenden haben wir viel Lob in Bezug auf unser Krisenmanagement erhalten.
Sie haben ursprünglich Bäcker-Konditor gelernt und sind anschliessend die Karriereleiter steil hinaufgeklettert. Gibt es etwas, das Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn anders anpacken würden?
Für mich ist der Beruf Bäcker-Konditor immer noch ein Traumberuf. Ich habe in der Lehre das gefunden, was ich nach der Schule gesucht habe. Ich würde da nichts ändern. Leider habe ich es nicht geschafft, mein eigenes Unternehmen zu gründen. Heute passt es für mich wie es ist. Übrigens, mein Lehrer hatte damals zu mir gesagt: Markus lehre nicht Beck, wir finden etwas Besseres für dich!
Welchen Rat geben Sie einer Jugendlichen bzw. einem Jugendlichen vor der Berufswahl?
Mein Rat zielt eher auf alle von uns. Ich bin davon überzeugt, dass es wichtig ist, dass man zufrieden und glücklich ist, mit dem was wir tun. Wir verbringen alle so viel Zeit mit unserer Arbeit, teilweise mehr als mit der Familie. Es muss einfach stimmen.
Man muss zufrieden sein, um eine gute Leistung zu erbringen. Wenn man mit dem Vorgesetzten, den Arbeitsinhalten oder Arbeitskollegen unzufrieden ist, muss man etwas ändern. Das heisst nicht, dass man alles in Frage stellen muss, aber jeder ist selbst verantwortlich für sein Leben. Man muss aktiv das Gespräch mit dem Arbeitskollegen, Partnern oder Vorgesetzen suchen, seine Wünsche ansprechen und auch bereit sein, etwas dafür zu tun.
Das Leben ist zu kurz, um über längere Zeit unglücklich zu sein. Gute Leistungen sind nur möglich, wenn man sich wohl fühlt. Dies gilt auch für das Leben ausserhalb der Arbeit.
Unsere Branche, die Handwerksberufe im Allgemeinen, leiden unter akutem Fachkräftemangel. Was muss sich ändern?
Den Handwerksberufen muss mehr Respekt entgegengebracht werden. Ein Schreiner oder Gärtner verdient das gleiche Ansehen wie ein Anwalt oder ein Informatiker.
Weiter braucht es eine bessere Entlöhnung des Handwerkes, nur dann werden diese wichtigen Berufsbilder wieder attraktiver. Es kann nicht sein, dass jedermann bereit ist, einem Anwalt einen Stundensatz von 400 CHF zu entgelten, er sich aber in der Bäckerei oder in einem Restaurant über die Preise beschwert. Ich hoffe, dass in der Zukunft dieses ungleiche Gewicht korrigiert wird. Dann wird sich der der Fachkräftemangel abschwächen und die handwerklichen Berufsbilder werden wieder attraktiver. Eltern müssen ihren Kindern wieder mit Stolz empfehlen, einen Handwerksberuf zu wählen.
Nehmen wir an, Sie hätten einen Zauberstab und Sie hätten drei Wünsche frei. Was würden Sie ändern?
Ich brauche keinen Zauberstab. Ich werde meine Wünsche mit „legalen“ Mitteln zu erfüllen versuchen.
Formulieren wir es anders: Welches sind Ihre Wünsche? Können Sie uns diese verraten?
Meine Wünsche sind nicht anders als diejenigen der Mehrzahl der Menschen: Gesund zu bleiben, dass es keinen Krieg gibt … (überlegt) Mein Wunsch ist, dass mich diejenigen Dinge, die ich anpacken werde, begeistern werden. Und ich möchte dies mit meiner Familie und meinen Freunden teilen können.
Interview: Claudia Vernocchi
Antonia und Markus Lötscher engagieren sich beim Verein «Swiss House Chitungwiza»: