Simon Reinle ist Bäcker-Konditor in fünfter Generation der Familienbäckerei Stritmatter in Rekingen (AG). Vor rund acht Jahren hat Simon Reinle seinen Koffer gepackt. Seither lebt und arbeitet seither in Chile. In einer mehrteiligen Serie gibt er Einblicke in sein Leben in Südamerika und erzählt über seine Erfahrungen in der chilenischen Bäcker-Konditorei-Branche.
Das Sortiment der traditionellen Brote in Chile ist sehr klein, bedingt durch fehlende Getreidesorten oder verschieden Ausmahlungsgrade der Mehle wie wir sie aus der Schweiz kennen. Dazu kommt, dass während der Industrialisierung und der Diktatur sehr viele traditionelle Produktionen und Rezepte verloren gegangen sind. Der Brotkonsum in Chile ist bis heute sehr hoch und das Brot gilt als günstiges und nahrhaftes Lebensmittel. Bis vor wenigen Jahren gab es nahezu nur industriell hergestellte Klein- und Kastenbrote aus Weizen-Weissmehl. Die letzten hundert Jahre haben in Chile nicht nur das Brotsortiment negativ geprägt. Mit ausschliesslich einfachen und billigen, meist industriell hergestellten Broten, hat auch die Qualität der Berufsleute an Bedeutung verloren. Mit dem Resultat, dass unser Handwerk nur wenig Anerkennung fand und kaum in Ausbildungs-systeme investiert wurde.
AUFSCHWUNG IN DER BRANCHE
Dies bringt mich zurück zur aktuellen Situation in Chile und meiner Tätig-keit als Schweizer Bäcker-Konditor hier. Chile ist ohne Zweifel eines der weitentwickeltesten Ländern in Südamerika, mit einem Lebensstandard, der sich vor allem in den letzten 30 Jahren – nach der Diktatur – in vielen Bereichen den europäischen und nordamerikanischen Standards angenähert hat. Auch in unserer Branche macht sich diese rasante Entwicklung, und die Orientierung an Vorbildern in Europa und Nordamerika, bemerkbar. Eine Evolution, die besonders in den letzten Jahren einen grossen Aufschwung im Bäcker-Konditor-Gewerbe erlebte: Die wachsende Vielfalt der angebotenen Produkte, die steigende Anerkennung unserer Arbeit bei den Konsumentinnen und ein Wachstum im Markt der Rohstoffe und Infrastrukturen. Das hohe Tempo dieser Entwicklung bringt auch Risiken und Probleme mit sich. Wichtige Entwicklungsschritte werden häufig übersprungen und die Qualität damit vernachlässigt. Oft wird versucht, direkt das Resultat der Vorbilder zu kopieren, ohne in den Weg dorthin zu investieren. Nach wie vor fehlen den chilenischen Bäckereien und Konditoreien gute Berufsorganisationen, Qualitäts- und Marktkontrollen, eine gute Berufsausbildung und ehrliche Informationen für Konsument*innen.
Ich war einige Jahre lang Produktionsleiter einer mittelgrossen Konditorei. Während dieser Zeit konnte ich viele Erfahrungen sammeln und knüpfte landesweit verschiedene Kontakte in der Branche, mit Zulieferungsfirmen und im Berufsbildungssystem. Mein Drang nach einer neuen Herausforderung wuchs. So habe ich mich vor rund drei Jahren nebenberuflich als unabhängiger technischer Berater der «RedBakery» angeschlossen. Einer Organisation, die vor einigen Jahren als Fachzeitschrift begonnen hat und heute viele Funktionen eines Bäckerei-Konditorei-Verbandes in Chile übernimmt.
Ein Neuanfang – dank der Pandemie
Wie auf der ganzen Welt waren die letzten zwei Jahre auch hier in Chile sehr schwierig. Die Pandemie hat uns hart getroffen und ihre Spuren in verschiedenen Bereichen des Lebens hinterlassen, privat wie auch beruflich. Meine langjährige Arbeitgeberin, eine Konditorei, die vor 35 Jahren gegründet wurde und am Ende über 200 Mitarbeitende zählte, musste im August 2021, nach Monaten in Quarantäne und verschiedenen Versuchen sich der Situation anzupassen, schlussendlich ihre Türen schliessen. Für mich ein Zeichen, mich nun voll und ganz meinen neuen Herausforderungen zu widmen.
Mit meinen, über die Jahre erlangten Kenntnissen in Bäckerei- und Konditorei Produktionen, arbeite ich heute unter anderem mit RedBakery an verschieden Projekten für die Weiterentwicklung der chilenischen Bäckerei-Konditorei-Branche. Angefangen habe ich mit Beratungen und Schulungen im ganzen Land für Betriebe und deren Mitarbeitenden. Wichtig für mich sind auch Projekte und die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Berufsausbildungsinstitutionen und den Zulieferungsfirmen von Rohstoffen und Infrastruktur. Nur gemeinsam kommen wir unserem Ziel eines stärkeren Gewerbes Schritt für Schritt näher. Die Kontakte und der Austausch mit internationalen Berufsorganisationen, Ausbildungsinstitutionen und Zulieferungsfirmen sind weitere Projekte, die für mich persönlich von hoher Bedeutung sind.
Die chilenische Bäckerei-Konditorei braucht gute Vorbilder, nicht um sie zu kopieren, sondern um von ihnen zu lernen!
Herausforderung: Berufsbildungssystem
Die wahrscheinlich grösste Herausforderung ist das chilenische Berufsausbildungssystem. Die Politik und den Staat kann ich nicht ändern – aber mit der grossen Schweizer Bäcker-Konditor-Tradition, sowie mit einem der besten Berufsausbildungssystem der Welt, der Organisation vom Schweizer Bäcker-Confiseurmeister-Verband SBC und der Richemont Fachschule, können wir inspirieren. Diese Institutionen stehen weltweit für höchste Qualität und eine einzigartige Kombination von Tradition und Fortschritt. Auch auf dem Markt von Rohstoffen und Infrastruktur, einheimisch sowie international, fehlt es in Chile aktuell an einem breiteren Angebot und einer gesunden Konkurrenz, die das Gewerbe weiter antreibt und so die Qualität weiter steigert. Aktuell sind Schweizer Produkte und Technologien in den chilenischen Bäckereien-Konditoreien noch kaum vertreten, doch man kennt in Chile die Schweizer Qualität und das Interesse ist gross.
In den letzten Monaten konnte ich auf diesem Weg meine ersten Erfolge feiern. Voller Stolz durfte ich die ersten Schritte für das Richemont Projekt «Global Swiss Learning» in Chile einleiten. Auch durfte ich in meiner neuen Heimat mit Pain Paillasse eine traditionale Marke aus der Schweizer Bäckerei vorstellen.Erfolge die mich motivieren, weiterhin unsere grosse Schweizer Berufstradition in Chile zu präsentieren und umgekehrt die chilenische Bäckerei-Konditorei in der Schweiz und weiteren europäischen Ländern vorzustellen.
Ich bedanke mich herzlich bei «Panissimo» und dem Schweizer Bäcker-Confiseurmeister-Verband für die Möglichkeit, auf diesem Weg einen kleinen Einblick in mein Leben in Chile, meine Arbeit und die chilenische Bäckerei-Konditorei zu geben. Mit meinem Schweizer Bäcker-Herz ist dieser Kontakt für mich eine grosse Ehre und vielleicht auch ein wenig Heimweh-Medizin. Gerne lade ich Sie ein, meine Social Media Konten oder die Webseite von Redbakery zu besuchen, mit vielen weiteren Informationen über die chilenische Bäckerei-Konditorei, sowie über mich und meine Tätigkeit. Ich freue mich schon jetzt über möglichst viele Nachrichten aus der Schweiz, neue Kontaktmöglichkeiten, Interessenten für Chile und unsere Bäckerei-Konditorei-Projekte, aber auch für Erfahrungsaustausche unter Berufskollegen.
Saludos cordiales und «Schwiizer Bäcker Grüess» aus Santiago de Chile
Simon Reinle
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