Bäcker-Confiseurmeister Joël Mérigonde ist des Öfteren In der Vollzugsanstalt La Brenaz in Puplinge (GE) anzutreffen. Dies weder als Besucher noch als Insasse, sondern als Experte fürs praktische Qualifikationsverfahren. Er hat dafür ein offizielles Attest des Kantons.

In der Strafvollzugsanstalt La Brenaz arbeiten rund 165 Häftlinge während 32 Stunden pro Woche – 16 unter ihnen in der Bäckerei-Konditorei. Es ist die bisher einzige Tätigkeit, mit der Insassen einen Berufsabschluss erreichen können.

Berufsattest als Basis

Joël Mérigonde ist für die Prüfung in der Bäcker-Konditor-Confiseure mit Eidgenössischem Berufsattest (EBA) verantwortlich. Er war zusammen mit den kantonalen Behörden und der Direktion der Anstalt für das Erstellen des Ausbildungsprogramms zuständig. Die Dauer der Haft unterscheidet sich von einem Insassen zum andern. Ein zwei- oder dreijähriges Ausbildungsprogramm durchzuführen schien kompliziert bis unmöglich. Darum wurde ein Modulsystem gewählt. «Die EBA-Ausbildung umfasst die zwei ersten Module: Bäckerei, Feingebäck und Stücksachen zum einen, Sandwichs, Canapés, Patisserie, dekorierte Torten und Cakes zum andern», listet Mérigonde die Lerninhalte auf. Das dritte angebotene Modul umfasst Party­brote, zwei Sorten Zöpfe und Pâte-à-Choux enthalten. «Ich würde gerne ein viertes Modul zur Schokolade anfügen», erklärt der Bäcker-Confiseur. «Dazu müsste eine separate Produktion eingerichtet werden. Ich habe dies mit dem Gefängnisdirektor diskutiert.» Da gäbe es aber organisatorische Fragen zu lösen.

Leere Taschen, Stift und Notizbuch

Wenn ein Insasse ein Modul abgeschlossen hat, kontaktiert der Ausbildungsverantwortliche der Gefängnis-Backstube Joël Mérigonde. «Wie für ein anderes Examen plane ich die praktische Prüfung und biete einen zweiten Experten auf.» Gemeinsam begeben sich die beiden ins Gefängnis. Sie kennen nur Vor- und Nachname des Kandidaten.
Bei der Sicherheitskontrolle am Eingang passieren sie Schleusen und einen Metalldetektor. «Unsere Taschen sind leer. Ausser einem Stift und einem Notizblock lassen wir alles beim Eingang zurück. Anders als im üblichen Verfahren, geben die Experten keine Noten. Sie geben Beurteilungen in Worten ab. Der Kandidat legt die Prüfung mit Hilfe eines Assistenten und in Anwesenheit eines Wärters ab. Pro Modul muss er in fünf Stunden vier Produkte herstellen. «Er weiss genau, was er zu tun hat. Ich werde ihm sagen, dass er einen Geburtstagskuchen nach freier Wahl vorbereiten soll. Es gibt wie bei der
Attestprüfung keine Überraschungsaufgabe. Das Ziel ist, dass er die Produkte von A bis Z herstellt.»
Um dies zu realisieren, steht eine moderne Backstube mit der üblichen Einrichtung zur Verfügung. «Am ersten Tag hatte ich einige Bedenken, als ich die Messer auf dem Tisch liegen sah. Doch mir wurde sofort bewusst, dass ich nichts riskiere.» Alles wird kontrolliert und am Ende in einen Schrank geräumt. Jedes Werkzeug hat seinen festen Platz. Jeder fehlende Gegenstand würde sofort bemerkt.

Die Chance packen

An diesem Tag hat Joël Mérigonde zwei Kandidaten geprüft. Der erste hat die Module 1 und 2 bestanden, der zweite Modul 1. «Bei allen drei Prüfungen waren die Resultate deutlich besser als bei den meisten Attestprüfungen. Die Kandidaten sind viel motivierter. Sie haben fast das Niveau für ein Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ). Einer der Kandidaten hat eine Geburtstagsdekoration geschaffen. Seine Schrift mit dem Cornet ist ebenso gut gelungen, wie wenn ich es gemacht hätte. Er hat eine Marzipanrose mit Blättern angefügt; andere Lernende hätten sich mit einer Johannisbeertraube oder einer Bananenscheibe zufrieden gegeben.»
Das Alter der Kandidaten und ihre Erfahrung erklären teilweise die Qualität der Arbeiten und ihre Motivation: «Einige haben eine Dummheit gemacht und büssen nun dafür. Ich glaube, dass sie an den Punkt kommen, wo sie überzeugt sind, aus dem herauskommen zu können. Sie gehen darum in sich und ergreifen diese Chance, weil sie wissen, dass sie bei schlechter Führung aus dem Programm fliegen.»

Seriosität gesichert

Für jedes mit Erfolg absolvierte Modul erhalten die Kandidaten ein offizielles Zertifikat des Kantons. «Es erwähnt nicht, dass die Ausbildung im Gefängnis absolviert wurde, und gibt dem Absolventen nach der Entlassung Glaubwürdigkeit.»
Zu Beginn seines Abenteuers hatte Joël Mérigonde einige Bedenken bezüglich der Seriosität der Ausbildung. Der Einbezug der Direktion, des Personals und insbesondere der Häftlinge haben seine Zweifel definitiv zerstreut. «Im Hinblick auf den Ofenposten haben die Kandidaten ihren Platz im Betrieb. Sie können leicht in ein Team integriert werden und ihren Job neben anderen Bäckern einnehmen!», folgert der Bäcker-Confiseur.

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