Thomas Balmer, Präsident des Gewerbeverbandes KMU der Stadt Bern, hat in der Publikation «Berner KMU» den nachfolgenden Beitrag veröffentlicht.

Berner KMU ist eine Dachorganisation der kleinen und mittleren Unternehmen im Kanton Bern und mit über 22 000 Mitgliedern, 41 Berufsverbänden und rund 121 lokalen Gewerbevereinen der grösste Wirtschaftsverband im Kanton Bern.

Seit dem Aufkommen der ersten Grossverteiler haben sich unsere Einkaufs- und Essgewohnheiten nach und nach geändert. Anstatt das Brot beim Bäcker und das Fleisch beim Metzger zu kaufen, gehen wir zum Grossverteiler und erledigen den ganzen Einkauf in einem Mal. Die Preise wurden zum Gradmesser des guten Einkaufs, und die gewerblichen Betriebe kämpften und kämpfen um ihr Überleben.

Auch der beste Metzger hat keine Chance gegen Pouletbrüstli aus China – solange nur der Preis zählt. Unser Geschmack gewöhnte sich an den Nichtgeschmack, und der Aufwand unserer Haushaltungen reduzierte sich für das eigentlich Lebensnotwendige – die Lebensmittel – auf gerade mal noch 5 % der Ausgaben. Dass wir nun aber auf diese Weise mehr Geld im Portemonnaie gehabt hätten, ist leider eine reine Fehlanzeige!

Ärgerliche Entwicklung

Ärgerlich ist denn auch, dass die gleichen Grossverteiler, nachdem sie den Detailhändlern, Metzgern, Bäckern und anderen Kleinbetrieben die Existenzgrundlage mit ihren Discountpreisen weggenommen haben, neu Premiumprodukte anbieten, die nun den gleichen Preis haben, den man früher im Laden bezahlte! Im Laden, den es nicht mehr gibt. Deshalb ist man nun gezwungen, aus dem Dorf weg zum nächsten Grossverteiler zu fahren, um die Einkäufe zu erledigen. Man ist damit weder schneller noch ist es günstiger, wenn man ein Produkt kauft, das so schmeckt wie man es erwartet. Knochengereiftes Fleisch, hausgemachtes Brot, Gemüse und Eier von hier – das hatten bereits unsere Grosseltern! Wir sind eigentlich keinen Schritt weiter – obwohl wir für das Einkaufen viel mehr Schritte machen müssen.

Schwere Zeiten für Familienbetriebe

Das Restaurant auf dem Gurten gibt auf der Menukarte die rührselige Geschichte einer Liebe von zwei jungen Leuten preis, die dann zur Gründung der Familie Gurtner führte, welche einen Gasthof eröffnet habe. Deshalb heisse nun der Berg Gurten und man könne im Restaurant die traditionellen Menus bestellen, die aus dem Kochbuch der Gründerfamilie stammen.

Dabei ist alles vom gleichen Grossverteiler – aber zu Preisen, wie wenn es so wäre, wie es scheint. Gleichzeitig schliessen die echten Familienbetriebe, da sie mit dem Einkaufspreis der Grossbezüger nicht Schritt halten können, und die echten alten Rezepte sind verloren.

Grosser Abfallberg

Sodann kaufen wir immer mehr vorgefertigte Menus, die trotz ihrem hohen Fett- und Zuckergehalt keinen Geschmack haben, dafür aber mit Konservierungsmitteln und Tiefkühlmethoden entweder unseren Körper oder unsere Energiebilanz belasten. Die Zubereitung geht nicht schneller, dafür wird die Abfallmenge grösser. Warum werden immer mehr Lebensmittel weggeworfen? Dies ist zum Teil unseren Ansprüchen zuzuschreiben, aber auch der Unsitte des Verfallsdatums. Ein Jogurt oder Käse wird im Geschmack mit der Reifung immer besser, und man verliert so das Beste, wenn man obrigkeitsgläubig diese Produkte nach dem Verfallsdatum unnötigerweise in den Kehricht schmeisst. Damit steigt nicht nur der Abfallberg, nein, auch das schlechte Gewissen gegenüber den anderen, die nicht so viel haben, um Lebensmittel wegwerfen zu können.

Kein standardisierter Geschmack

Schuld an dieser Misere sind aber weder die Grossverteiler noch die Hersteller von Fertigessen und auch nicht die Limonadenhersteller. Sie tragen keine Schuld an unserem Übergewicht, daran dass wir Lebensmittel wegwerfen oder daran, dass die Dorfbeiz für immer geschlossen wird. Schuld an dieser Misere sind wir selbst – ganz einfach durch unser Verhalten und unsere gedankenlosen Einkäufe. Aber wir können unser Leben selbst in die Hand nehmen und das wirklich hausgemachte Brot des Bäckers und das knochengereifte Fleisch des Metzgers geniessen. Alles mit einem wunderbaren Geschmack, der nicht standardisiert und wirklich lokal unterschiedlich ist. Nicht einmal teurer, wenn wir, ohne uns von Aktionen verführen zu lassen, nur so viel kaufen, wie für den Körper gesund ist. Wenn man sich nach einem strengen Arbeitstag selbst ein Abendessen zubereitet, ist dies doch deutlich besser und dauert nicht länger als sich eine amerikanische Sitcom im Fernsehen und Fastfood reinzuziehen.

Ein Plagiat, oder?

Wenn Sie denken, dass meine Gedanken weder zeitgemäss noch zutreffend sind, dann kann ich sehr gut damit leben. Denn man kann in guten Treuen beim Geschmack und bei der Überzeugung unterschiedlicher Meinung sein. An einen zweifelhaften Goût gewöhnt man sich, und es ist wie bei der Ananas aus der Dose: an der frischen Frucht würde man den Zinkgeschmack vermissen. Wenn Sie aber auch so denken, dann handeln Sie mit Eigenverantwortlichkeit und im Bewusstsein, dass wir, wenn der letzte Metzger, der letzte Beck oder Käsehändler seine Türe für immer schliesst, nur noch das «fressen» können, was uns der Grossverteiler anbietet. Ehrlich – hausgemachtes Brot aus der Industriegrossbäckerei ist doch eigentlich ein Plagiat – oder?

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