Gehörlos, entführt, verwundet … Ziaudin Safi verlässt Afghanistan im Alter von 15 Jahren, um den Taliban zu entfliehen. Er reist quer durch Europa. Der Teenager hat Hunger, Durst, wird ins Gefängnis geworfen, verprügelt … Er ist fest entschlossen und will nicht aufgeben. Nach 14 Monaten beendet er seine Reise in der Schweiz. 2022 lernt er den Bäcker-Confiseur Stéphane Oberson kennen. Der Genfer ist seitdem sein Chef.
Nichts hätte darauf hingedeutet, dass sich Ziaudin Safi und Stéphane Oberson treffen könnten. Der erste ist ein junger Afghane und der zweite ein erfahrener Bäcker-Konditor. Dennoch kreuzen sich ihre Wege im Jahr 2022. Der Genfer Branchenmann erhält einen Anruf von der Organisation Romande pour l’intégration et la formation professionelle Orif (Organisation für die Integration und die Berufsbildung). Er arbeitet seit Jahren mit dieser Institution zusammen, die integrationsbedürftige oder gesundheitlich beeinträchtigte Jugendliche ausbildet.
Am Telefon wird ihm vorgeschlagen, einen «tollen Kerl» mit einer schwierigen Kindheit, einen 19-jährigen Exil-Afghanen, für ein zweimonatiges Praktikum zu nehmen. Auf seine Zusage wird noch ein Detail angefügt: Der Praktikant ist gehörlos und stumm. Die Überraschung weicht einem Zögern. Sein Gesprächs-partner beruhigt ihn jedoch: Der junge Mann sei tüchtig und würde eine Stunde pro Tag von einem Dolmetscher begleitet werden. Betroffen über das Schicksal des Asylsuchenden will ihm der Inhaber der Boulangerie Oberson SA in Vernier (GE) eine Chance geben. «Man ist immer dabei, über dies und das zu schimpfen; ich bin der Erste. Jetzt hatte ich die Gelegenheit, jemandem zu helfen. Ich habe zugesagt!»
Zweifelnde Mitarbeitende
Nachdem er seine Entscheidung getroffen hatte, informierte er seine Mitarbeitenden. Diese reagieren «mehr als zwiespältig»: «Laurent, mein Leiter der Konditorei, kam beispielsweise zu mir und sagte: ‹Ernsthaft, denken Sie nicht, dass es schon kompliziert genug ist, mit Menschen umzugehen, die sprechen und hören können?›.»
In der folgenden Woche beginnt Ziaudin Safi sein Praktikum in Begleitung von Françoise Rickli . Die Dolmetscherin hat den jungen Mann übrigens lieb gewonnen. Als «Grossmutter vom Dienst», wie sie sich selbst bezeichnet, hat sie für die anderen Angestellten eine Kommunikationsgrundlage auf A4-Blättern vorbereitet. So lernen sie ein wenig Gebärdensprache. Nicht alles muss richtig sein, aber sie schaffen es, sich verständlich zu machen.
Die Integration geht, gemäss dem Inhaber, rasch vonstatten. «Man muss anerkennen, dass er sich bei Orif gute Kenntnisse angeeignet hatte und vor allem den Willen besass, etwas zu lernen. Man braucht sich nur seinen Weg seit Afghanistan anzusehen (siehe ganzer Beitrag im «Panissimo»). Hätte er keinen starken Willen, wäre er schon lange nicht mehr auf dieser Welt!»
Der Angesprochene selbst sieht die Erklärung eher in seiner Behinderung: «Wir Gehörlosen können nicht sprechen. Deshalb arbeiten wir schnell. Denn wenn wir nichts tun, langweilen wir uns. (…) Da ich mich nicht mündlich ausdrücken kann, versuche ich zu mimen und ich beobachte viel.»
«Zuschauen ist halb gelernt»
Dem Betriebsinhaber entgeht diese Eigenschaft nicht: «Ziaudin hat die Fähigkeit, alles auf Anhieb identisch zu reproduzieren. Er verkörpert wirklich das Motto ‹Zuschauen ist halb gelernt›, etwas, das ich meinen Lernenden einzuprägen versuche. …
… den kompletten Artikel finden Sie im «Panissimo» vom 17. Mai 2024
Johann Ruppen