Vertreter/innen aus der Lebensmittelbranche befassten sich an der Tagung Brennpunkt Nahrung in Luzern mit der Nachhaltigkeit. Der Titel: «Eigenverantwortlich handeln – Ernährungssystem stärken». Höhepunkt des Anlasses war der Auftritt von Bundesrat Albert Rösti, der weniger Ideologie und mehr Pragmatismus forderte.

Für Ingenieuragronom Albert Rösti stehen Vermeidung und Vergeudung von Lebensmittelabfällen auf der Prioritätenliste. Dort müsse angesetzt werden und weniger beim Ernährungsverhalten. Die im bundesrätlichen Aktionsplan definierten Ziele sollen auf freiwilliger Basis erreicht werden. «Die Ernährung ist zu einem ideologischen Feld geworden », stellte der Bundesrat fest. «Wir müssen aufpassen, dass wir nicht übers Ziel hinausschiessen.» Es gelte, die Diskussion zu «entideologisieren». Die Schweiz sei ein Vorbild im Bereich der Nachhaltigkeit.

Die Sicht der Landwirtschaft

«Es reicht!», rief der Präsident des Schweizer Bauernverbandes, Markus Ritter im Zusammenhang mit den zahlreichen Landwirtschaftsinitiativen aus. «Wir haben ein sehr hohes Niveau erreicht.» Er erinnerte an die Vision einer nachhaltigen Lebensmittelversorgung. «Wir haben den Auftrag, die Bevölkerung mit gesunden, nachhaltigen Lebensmitteln zu versorgen». Er sei kein Gegner von Bioprodukten, betonte Ritter, vorausgesetzt man könne diese verkaufen. Der Markt diktiere, was verkauft werden könne. «Wenn wir uns auf ideologische Ziele fokussieren, arbeiten wir am Markt vorbei.»

Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauernverbandes auf der Bühne von Brennpunkt Nahrung 2024.

Belastender Fleischkonsum

Anderer Meinung war Lucas Fesenfeld von der ETH St. Gallen «Wir befinden uns erheblich im Rückstand», entgegnete er den Vorrednern in einer Diskussionsrunde, verwies in diesem Zusammenhang speziell auf den Fleischkonsum und forderte staatliche Massnahmen. Dänemark mache es vor. Dies müsse Schritt für Schritt geschehen und nicht mit dem Brechhammer, beispielsweise mit einer gezielten Innovationsförderung. So könne in der Schweiz mehr erreicht werden.

Markus Bigler, CEO Bigler Fleischwaren und Vizepräsident fial (Föderation der Schweizerischen Nahrungsmittel-Industrien), betonte, dass es keine einfachen, schnellen Lösungen gebe, auch wenn die Dringlichkeit vorhanden sei. Gute Lösungen müssten abgestützt sein, mit einem grossen Bekenntnis zur Nachhaltigkeit. Bigler AG hat Fleischalternativprodukte lanciert. Doch musste diese wieder zurückgezogen werden, wie der CEO ausführte, weil diese bei seinen Konsumentinnen und Konsumenten nicht gefragt waren.

Tiefe Preise und Qualität

Thema war auch der Preis. Die Fleischbranche arbeite mit tiefen Margen, erklärte Bigler. Er widersprach damit der Aussage des Country Managing Director von Aldi Suisse, Jérôme Meyer, dass Qualität trotz tiefem Preis möglich sei. Der Ausschreibungswettbewerb sei hart. Könne man preislich nicht mithalten, verliere man den Auftrag. Sind die internen Prozesse optimiert, lande man automatisch bei den Rezepturen. «Das ist nicht förderlich! Die gute Herstellungspraxis gerät unter Druck», warnte Bigler.

Philipp Wyss, Vorsitzender der Coop Geschäftsleitung, hob in einer Diskussionsrunde hervor, dass bei Coop fast die Hälfte der Kundinnen und Kunden Bio-Milch kaufen würden. «Wir wollen nicht lenken, sondern überzeugen und aufklären», unterstrich er.

Diskussion über Zahlen und Fakten

Es entbrannte eine kurze Diskussion zwischen Markus Ritter und dem Wissenschaftler über die Korrektheit der vorliegenden Daten. «Wir kommen nicht weiter, wenn wir nicht faktenbasiert diskutieren», betonte Ricarda Demarmels, CEO der Emmi Gruppe. In ihrem Referat erwähnte sie die grossen globalen Herausforderungen, mit denen die Landwirtschaft konfrontiert sei. In der Schweiz würden viele Konsumentinnen und Konsumenten die empfohlene tägliche Zufuhr von Nährstoffen nicht erreichen. Eine gesunde Ernährung sei mehr als ein Lebensmittel. Zur Sicherung der Nährstoffversorgung müsse die Beurteilung von Nahrungsmitteln auf Basis vom Nährwert erfolgen. Dabei seien Milchprodukte für die Ernährungssicherheit unverzichtbar.

«Wir kommen nicht weiter, wenn wir nicht faktenbasiert diskutieren»

Gesundheit vor Umwelt

Spannende Zahlen zeigte Dörte Bachmann, Leiterin Nachhaltigkeit SV Group zum Thema «Ernährungsgewohnheiten ändern – Möglichkeiten und Grenzen aus der Sicht der SV Group». Beim in der Auftragsgastronomie tätigen Unternehmen würden täglich rund 100 000 Menüentscheidungen getroffen. Die Gäste würden sich oft für etwas entscheiden, das sie am meisten anspreche. Eine vor zwei Jahren von der SV Group durchgeführte Marktforschung zur Ernährungsgrundhaltung brachte Erstaunliches zutage. Ernüchternd sei die geringe Wichtigkeit der Umwelt. Viel relevanter seien die Gesundheit und die Deklaration. Es müssten Entscheidungshilfen für eine gesunde und umweltfreundliche Menüwahl angeboten werden, so Dörte Bachmann. Der SV Group habe mit einer einfachen, verständlichen Ampel begonnen.

Einen Umwelt-CERN

Einen ganz anderen Vorschlag machte an der Veranstaltung Markus Egermann, Transformationswissenschaftler vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung in Leibniz (D). Es gelte, sich nicht gegenseitig die Verantwortung zuzuschieben, sondern selbst zu handeln. Das CERN in Genf koste pro Jahr 12 Mrd. CHF. Egermann schlug vor, ein eigenes sogenanntes CERN zu bauen, ein «Consein Europeen pour la Recherche Nutrition». Ein Reallabor für ein nachhaltiges Ernährungssystem, das mindestens 25 Jahre betrieben werde und 1 Mrd. CHF pro Jahr zugesprochen erhalte, finanziert von unter anderem der Wirtschaft, den Staaten und Stiftungen. Dabei sollen mittlere und kleine Städte als Pilotprojekte dienen. «Wir analysieren, visionieren, experimentieren und lernen gemeinsam, wie ein nachhaltiges Ernährungssystem aussehen kann», beschrieb Egermann seine Vision.

Zukunft 2030

Der Zukunftsforscher von der 2bAhead-Gruppe Sven Gabor Janszky, nahm die Teilnehmenden mit auf eine virtuelle Reise ins Jahr 2030. Sein Unternehmen befragt regelmässig rund 1500 Führungspersonen in internationalen, renommierten Unternehmen. Janszky thematisierte KI und die Tatsache, dass damit erhebliche Personalkosten eingespart werden könnten. «Vertrauen Sie den Möglichkeiten der Zukunft mehr als Ihren Erfahrungen der Vergangenheit», riet er den Teilnehmenden. «Das Morgen wird anders!»

So tickt die Generation Z

Auf erfrischende und unterhaltsame Weise verrieten drei Student/innen der Berner Fachhochschule, wie die Generation Z tickt. Sie seien geprägt von wirtschaftlicher Unsicherheit, hielten Lea Götz, Paula Moser und Sandro Meier fest. «Die Authentizität und der Austausch sind uns sehr wichtig.» Zuhören, zusammen etwas erreichen und hinterfragen gehörten ebenso dazu, wie sich den Freiraum nehmen, ebenfalls mitzugestalten und mitzudiskutieren, «weil uns die Zukunft gehört».

Die drei Studierenden von der Berner Fachhochschule im Rampenlicht.

Eigenverantwortung statt Regulierung

Eine Umfrage unter den rund 340 Konferenzteilnehmenden zeigte klar, dass 75 % der Meinung sind, dass Nachhaltigkeitsziele durch Eigenverantwortung und nicht durch staatliche Regulierung erreicht werden sollten. Die bringt jedoch Herausforderungen mit sich, wie Manfred Bötsch, Präsident des Conference Board, unterstrich. «Mehr Eigenverantwortung bedeutet auch, dass man permanent in der Pflicht ist, sich weiterzuentwickeln.»

Nach Luzern reisten nicht nur die Gäste aus der Lebensmittelbranche, sondern auch Mitglieder der Umweltorganisation Greenpeace. Sie verteilten vor dem Eingang Flyer mit dem Titel «Stop Greenshifting – nehmt eure Verantwortung wahr!».

Claudia Vernocchi

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