Die Pandemie sowie eine äusserst stark einschränkende Baustelle vor dem Hauptgeschäft-Café und Produktionsort brachten die Familie Menzi mit der Bäckerei Abderhalden in Wattwil (SG) in arge Bedrängnis. «Wir sind mit 120 km/h in einen schwarzen Tunnel gefahren und das Licht ging nicht an», beschreibt Gregor Menzi die damalige Situation im Interview mit «Panissimo» und er schildert, wie er und seine Familie wieder Licht am Horizont sahen.

Gregor Menzi, gelernter Bäcker-Konditor, hatte eine Kaderstelle bei der Schweizerischen Post inne. Bis er zusammen mit seiner Familie 2014 die Bäckerei Abderhalden in Wattwil übernahm und sich damit einen lang gehegten Wunsch erfüllte. Seine Ehefrau Manuela, im Pflegeberuf tätig, übernahm den Detailhandel im Geschäft. Sohn Josua, gelernter Koch, machte eine Zusatzausbildung als Bäcker-Konditor und seine Schwester Salome, ausgebildete Pflegefachfrau, nahm eine Ausbildung als Bäckerin-Konditorin in Angriff.

Anfang 2020, kurz vor Ausbruch der Pandemie, wurde die zweite Filiale, das Café-Bäckerei Josua’s bakery beim Bahnhof Wattwil (SG) eröffnet. Kaum drei Monate offen, musste sie wieder geschlossen werden. Neben den Folgen der Pandemie wurde vor dem Hauptsitz mit Café der Platz komplett umgestaltet. Eine erhebliche zusätzliche Belastung. Gemeinsam mit Gregor Menzi und seinem Sohn Josua, blicken wir zurück. Sie berichten, wie sie als Familie sich gemeinsam aus diesem Tief herausgekämpft haben und von ihren Plänen für die Zukunft.

Vereint die Krise gemeistert: (von links): Manuela, Salome, Josua und Gregor Menzi

Nächstes Jahr feiern Sie Ihr 10-Jahre-Jubiläum. Haben Sie den Kauf einer Bäckerei in dieser Zeit je bereut?
Gregor Menzi: Ja schon, während der Pandemie. Das hätte ich nicht gebraucht. Das war sehr belastend und existenziell.

Kurz vor Ausbruch der Pandemie haben Sie Josua’s bakery beim Bahnhof eröffnet. Dann lief nichts mehr…
Josua Menzi: Zweieinhalb Monate war sie offen und am 16. März mussten wir den Caféberich schliessen. Die Frequenzen sind komplett eingebrochen.

Gregor Menzi: Wir haben viel in diese Filiale investiert. Wir haben an den Erfolg geglaubt.

JM: Rund vier Monate blieb sie geschlossen. Im Sommer konnten wir das Café wieder öffnen. In dieser Zeit lief das Geschäft super. Doch im Winter kam die Maskenpflicht…

GM: … und es wurde immer schlimmer.

GM: Gleichzeitig begannen die sehr einschränkenden Bauarbeiten auf dem Platz vor unserem Hauptgeschäft – das war Mitte 2020.

JM: Als es hiess, die Gastronomie könne auf Terrassen bedienen, war unser Aussenbereich eine Baustelle.

Ihr Umsatzrückgang war massiv, denke ich …

«Am Schluss haben wir über anderthalb Millionen an Umsatz verloren.»

Gregor Menzi

Sie haben finanzielle Unterstützung von Bund und Kanton erhalten …
GM: … ohne diese Gelder würde es uns nicht mehr geben. Zum Glück hatten wir zusätzlich eine Pandemieversicherung, die hat sofort gegriffen.

JM: Bezahlt wurde allerdings nur beim ersten Lockdown. Die folgenden wurden nicht mehr entschädigt.

Die Lieferungen fielen damals ebenfalls aus. Wie viel Prozent des Umsatzes machten diese aus?
GM: Sie machen einen Sechstel des Umsatzes aus. Praktisch alle Lieferungen – mit einer Ausnahme – wurden gestrichen.


Die Lieferungen fielen weg, Josua’s bakery geschlossen … was haben Sie unternommen?
GM: Wir sind mit 120 Stundenkilometern in einen schwarzen Tunnel gefahren und das Licht ging nicht an. Es war einfach dunkel und wir wussten nicht, was nun geschehen wird. Bereits bevor wir schliessen mussten, hatte ich Kurzarbeit angemeldet. Ich habe bei der damaligen Brot-Post mitgemacht – und bin heute beim Nachfolgeangebot LocalOnly dabei.

Ich habe betriebswirtschaftliche Berechnungen vorgenommen: Wie bringe ich die Liquidität wieder hin? Zahlreiche Lieferanten konnten nicht mehr bezahlen. Ich hatte gut 100 000 CHF Ausstände. Ich habe die Banken angefragt, was wir tun können, wenn die Überweisungen noch lange auf sich warten liessen.

Was wir ebenfalls geändert haben: Wir waren bisher mit einer Jahreserfolgsrechnung unterwegs. Das hat nicht mehr gereicht. Wir haben auf eine monatliche Erfolgsrechnung gewechselt. Damit haben wir eine bessere Kontrolle über der Kosten. In der Krise haben wir ebenfalls angefangen, eine monatliche Liquiditätskontrolle zu machen. Die haben wir beibehalten. Zudem führten wir weitere Elemente wie Produktivitätskontrolle im Kundenbereich und in der Produktion ein.  


Wie haben Sie intern kommuniziert?
GM: Ich habe ganz offen kommuniziert. Ich habe ein Konzept erstellt, was ich in die WhatsApp-Gruppe schreibe, und was ich auf einem anderen Kanal kommuniziere. Beispielsweise habe ich darüber informiert, dass wir gegen Pandemie versichert sind. Informationen leitete und leite ich jeweils in einem Begleitbrief auf dem Lohnzettel weiter, mit dem Ziel, auch die Daheimgebliebenen zu «stützen».

«Ich rief die Lernenden zusammen und liess sie im leer stehenden Café dem Unterricht folgen.»

Gregor Menzi

Und die Lernenden?
GM:
Sie waren ebenfalls zu Hause und wurden online unterrichtet. Ich merkte allerdings, dass dies nicht funktioniert. Denn einige hatten zu Hause gar keinen Computer oder nur einen defekten oder kein Internet. Also rief ich sie zusammen und liess sie im leer stehenden Café dem Unterricht folgen.

Wie erging es den restlichen Mitarbeitenden?
GM:
Diejenigen, die zu Hause bleiben mussten, vermissten teilweise die Tagesstruktur. Wir, meine Familie und ich, haben immer gearbeitet, das war wohltuend.

Aber Sie hatten einen Riesensorgenberg …
GM: Ja klar.


Konnten Sie noch ruhig schlafen?
GM: Ich habe nicht mehr so gut geschlafen … Als Arbeitgeber haben wir auch eine soziale Aufgabe. Unser Geschäft befindet sich mitten im Dorf. Wir haben den älteren Stammkunden jeweils die Zeitungen und Illustrierten mit nach Hause gegeben, wenn sie in den Laden gekommen sind. Wir haben Mitarbeitende anderweitig eingesetzt, weil es diese zu Hause fast nicht aushielten.


Was haben Sie in dieser Zeit gemacht?
GM: gut gegessen (lacht). Gut gegessen und gearbeitet …

JM: Wir haben vor allem aufgeräumt, Wände gestrichen, Abläufe neu definiert …


Beim letzten «Panissimo»-Besuch haben Sie erzählt, dass Sie im Buchhaltung-Bereich eine 50%-Stelle dank Digitalisierung haben einsparen können.
JM: Wir haben überall versucht zu optimieren.


Sie sagten damals, Sie würden das Sortiment anpassen …
GM: In dieser Zeit haben wir alle Produkte und Prozesse durchkalkuliert und fast alle D-Artikel rausgenommen.

JM: Wir haben diese Produkte auch nach der Pandemie nicht wieder eingeführt.

Um wie viel Prozent haben Sie das Sortiment verkleinert?
JM: Wir haben das Sortiment sicher um 20 % reduziert.

GM: Wir bieten bei den Produkten zum Teil nicht mehr alle Grössen an.

JM: Bei rund einem Viertel haben wir die Rezeptur geändert.


Wie ist dies zu verstehen?
JM: Ein Beispiel: Da sind zwei Sandwiches, die im Laden nicht so gut laufen. Ich nehme diese raus und ersetze sie durch ein neues, cooleres Sandwich.

GM: Das machen wir nun regelmässig. Irgendwann führen wir nur noch sechs Sandwiches, sechs Brote, sechs Patisserie-Produkte –  mit einem Sortiment, das wir überblicken können und dazu noch zwei/drei saisonale Produkte.


Dann war da noch die Baustelle vor dem Hauptgeschäft …
GM: Im Sommer 2019 begannen bereits die Vorbereitungsarbeiten und es gab nur noch Einbahnverkehr. Wir erlitten also bereits damals eine substanzielle Einbusse.

2019: Baustelle vor dem Hauptgeschäft in Wattwil


Was heisst substanziell?
JM: An Weihnachten hatten sie (die Gemeinde) die Strasse für sechs Wochen gesperrt.

GM: Wir erlitten sicher eine Umsatzeinbusse von 10 %. Unglücklich war zudem, dass bei der ersten Öffnung in der Pandemie, unsere Terrasse, wie bereits gesagt, eine Baustelle war und nicht benutzt werden konnte.

GM: Auf dem Kiesplatz neben den Baumaschinen haben wir „ein bisschen“ Kaffee gemacht. Nebst dem, dass der Chef fast jeden Tag ein anderes Hygienekonzept präsentierte (lacht).


Ist die Gemeinde Ihnen entgegengekommen?
GM: In keiner Weise. Sie haben auch schlecht kommuniziert und haben den Dialog mit uns nicht gesucht. Ein Beispiel: Am Freitagabend, als niemand mehr am Compi arbeitete, haben sie eine E-Mail gesandt mit der Info, dass ab Montag niemand mehr zur Liegenschaft fahren kann. Damit war allen Lieferanten die Zufahrt versperrt. Das war ganz übel. Was das Schlimmste war: Wir hatten während Monaten keinen einzigen Parkplatz zur Verfügung.

JM: Dies kam unmittelbar nach Corona.

GM: Die Zulieferung in den Keller war während neun Monaten nicht möglich. Wir mussten jede Schachtel und jedes Schächtelchen selber in den Keller hinunter tragen. Das war mühsam!

JM: Im Juni konnte man wieder die Tische auf der Terrasse aufstellen. Aber drumherum war immer noch Baustelle.

GM: Allerdings kam es häufig vor, dass die Arbeiter am Stein fräsen waren und der ganze Staub auf den Tischen liegen blieb.

Wann war der Baustellenschreck zu Ende?
GM: Ende Juni 2022. Die Kundenfrequenz hat nur langsam zugenommen. Die Bewohner*innen in den unteren Dörfern vom Tal hatten sich in der Zwischenzeit anders organisiert. Auch jetzt sind noch nicht alle zurückgekehrt, vor allem am Samstag und Sonntag.


Das Vorpandemie-Ergebnis haben Sie noch nicht erreicht?
GM: Im Laden weisen wir 95 % des Umsatzes gegenüber 2018 auf. Erschwerend kommt hinzu, dass Wattwil seit September umfahren wird. Aber das wussten wir. Das war absehbar. Dies hat zu einer deutlichen Abnahme im Café geführt. Früher haben viele Autofahrer, die Richtung Toggenburg hinauf reisten, hier einen Zwischenhalt gemacht. Diese fallen weg. Unter der Woche sind es ungefähr 10 % weniger, geschäftliche Besprechungen und Kundenmeetings finden weniger statt. Die spontanen Einkehrer haben wir nicht mehr.

Die Filiale Ebnat-Kappel ist im ersten Quartal 2023 umsatzmässig um 5% gewachsen. Das ist nur knapp die Preiserhöhung. Der fehlende Schnee widerspiegelt sich da ebenfalls …

JM: Aus diesen Gründen haben wir am Bahnhof eine Filiale eröffnet, Josua’s bakery.

GM: Früher verzeichneten wir im Laden am Morgen bis um acht Uhr eine Riesenhektik. Nun verteilt sich alles viel besser den Tag durch. Die wegfallenden Autokolonnen ziehen nun Wattwiler an, bei uns einzukehren bzw. einzukaufen.


Zu allem Übel kam die Energiekrise und die Inflation …
GM: Wir sind zum Glück in Der Energie-Grundversorgung. Was die Preiserhöhungen der Lieferanten betrifft, so verrechnen wir diese ausnahmslos 1:1 auf die Produkte. Unsere Margen lassen nichts anderes zu.

JM: Wir arbeiten mit dem Rezeptassistent von HS-Soft und geben alle Rohstoffpreiserhöhungen umgehend ein. So ist die Kontrolle gewährleistet.

GM: Wir haben die Preise regelmässig angepasst. Reklamationen gab es keine. Es scheint, dass unsere Kundinnen und Kunden diese Massnahme akzeptiert haben. Allerdings könnten die Umsatzeinbussen teilweise vielleicht auch wegen diesen Preiserhöhungen geschuldet sein.

Sie hatten früher eine Kaderposition bei der Schweizerischen Post inne, bevor Sie mit Ihrer Familie die Bäckerei Abderhalden übernahmen. Im Interview mit «Panissimo» sagten Sie damals, dass Sie das Sofa mit dem Melkschemel ausgetauscht hätten. Wo sitzen Sie zurzeit drauf?
GM: In der Krise war’s kein Schemel mehr, nur noch ein Nagelstuhl (lacht). Aber jetzt haben wir wieder eine Situation, die wir managen können.


cafe-abderhalden.ch



Wie sieht die Zukunft der Bäckerei Abderhalden aus, gibt es Projekte?
GM: Grundsätzlich glaube ich, dass unsere Branche eine Chance hat. Aber es wird nicht einfacher. Die drei vier grossen im Detailhandel werden uns nichts schenken und uns kopieren. Das wird brachial hart. Du musst ein Produkt, ein eigenes Geschäftsfeld haben, wo du noch Geld verdienst. Dann kannst du dir links und rechts was erlauben, das sich nicht so lohnt.

Wir müssen noch wachsen, damit unsere Überlebensfähigkeit gestärkt wird. Und wir haben noch einige spannende Idee.

Interview: Claudia Vernocchi

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