Salz, Zucker, Fett, Nutri-Score – immer wiederkehrend ist dies ein Thema in der Politik und bei den Behörden. Beda Stadler, der renommierte Schweizer Biologe sowie emeritierte Professor und ehemalige Direktor des Instituts für Immunologie der Universität Bern, warnt davor, sich nur noch zu ernähren und nicht mehr mit Freude zu geniessen.

Die Fremdarbeiter meiner Jugend hatten jeweils mächtige Brote unter die Arme geklemmt und rannten auf den Zug in Richtung Domodossola. Daraus schloss ich, dass es in Italien zu wenig Brot gibt. Bei meiner ersten Italienreise habe ich allerdings ob der Auswahl an interessanten Brotformen gestaunt, wobei es mir die kleinen, überkreuzten weissen Brötchen angetan hatten, in die ich gierig biss. Die Enttäuschung war unbeschreiblich, als diese Brötchen wie Wellkarton schmeckten, weil dem Brot das Salz fehlte. Diese Geschichte geht mir durch den Kopf, wenn ich höre, Väterchen Staat will die Salzkonzentration in den Lebensmitteln senken, weil wir Bürger entweder ungehorsam oder zu blöd sind.

«Die Enttäuschung war unbeschreiblich, als diese Brötchen wie Wellkarton schmeckten.»

Zugegeben, so schlimm wird es wahrscheinlich nicht kommen, dass unser Brot gar kein Salz mehr enthalten wird. Aber der Zucker wurde in der Zwischenzeit doch schon so kriminalisiert, dass er von jungen Müttern als ungesund, fast giftig, eingestuft wird. Genau das ist das Problem aller Ampelsysteme. Dem Konsumenten wird suggeriert, dass es gesunde und ungesunde Nahrungsmittel gibt. Man scheint zu vergessen, dass menschliche Nahrung ohne Zucker und Salz tödlich sein würde. Wer bloss Nahrungsmittel produziert, d. h. Lebensmittel in Einzelteile zerlegt und diese dann einzeln oder in Kombination wieder verkaufen will, hat natürlich ein Interesse an einem einfachen Ampelsystem wie etwa Nutri-Score. Mit derartigen Vereinfachungen wird die Idee weiter zementiert,
es gäbe gesunde und ungesunde Nahrungsmittel.

Risiko einer Mangel- oder Falschernährung

Wer Lebensmittel kauft, die nicht komplett in alle Einzelteile zerlegt wurden, etwa Fleisch, Eier, Milchprodukte, Mehl, Kartoffeln, Gemüse und Obst, kann sich unmöglich ungesund ernähren. Wer sich hingegen ausschliesslich von Nahrungsmitteln mit einem grünen Punkt oder im grünen Bereich ernähren will, riskiert möglicherweise eine Mangel- oder Falschernährung, ausser er ist imstande, jeweils so viel davon zu sich zu nehmen, wie im ursprünglichen Lebensmittel vorhanden war. Sowas können aber nur Ernährungsberater.

Lebensfreude

Die Unterscheidung zwischen Lebensmittel und Nahrungsmittel ist für mich wichtig, weil Nahrungsmittel uns wohl ernähren, aber nicht erfreuen. Lebensmittel hingegen machen mein Leben glücklicher. Ich habe nur ein Leben, und dazu gehören ab und zu Fast-Food, Nutella, Eiscreme, Gummibärchen oder ein Gebäck mit viel Salz. Mit anderen Worten, die roten, ungesunden Punkte sind Lebensfreude, und die soll keine Autorität mir wegnehmen.

Zu fett, zu süss, zu salzig

Im Übrigen wissen wir doch alle, dass wir zu viel essen. Wir wissen auch alle, dass wir zu fett, zu süss und zu salzig essen. Ich persönlich weiss auch, dass ich zu dick bin. Die Löcher in meinen Hosengurt sind mein Nutri-Score, und der hat mich bisher nicht abhalten können, alles zu essen, was Spass macht. Das weiss Väterchen Staat, und er wird daher sicher nächstens meinen Ungehorsam mit einer Zucker- oder Salzsteuer bestrafen.

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