Anke Röskamp ist Stammkundin der Bäckerei-Konditorei-Café Steiner AG – ehemals «Trüssel» – in Solothurn. Der Gang zum Bäcker-Confiseur ist für sie eine willkommene Pause. Während eines Besuchs kam ein Thema auf, das sie nicht so schnell wieder losliess.

«Das habe ich jetzt schon lange nicht mehr gehört», bemerkt die Konditorin überrascht zu ihrer Kundin. «Die haben wir auch umbenannt, so wie die Speckschnitte. Wer vegetarisch leben will, kauft keine Speckschnitte mehr in der Bäckerei, und die Sebastapolschnitte heisst bei uns auch schon lange Nussecke.»

«Heisst das nicht Sebastopol oder Sewastopol», melde ich mich zu Wort, «nach der Hafenstadt auf der Krim?» Hier darf ich es wagen, mich einzumischen, denn in dieser, «meiner», Bäckerei werden gerne Gedanken und Geschichten ausgetauscht. Auf die Frage aber folgt allgemeines Stirnrunzeln.

Dieser Name klingt in meinen Ohren nach. Mein Vater hat seine Kriegsverletzungen aus der Schlacht um Sewastopol 1942 davongetragen. Das sage ich aber nicht laut. Wir sind in der Schweiz. Aber wie kommt dieses leckere Gebäck zu seinem Namen? Die Frage lässt mich nicht los.

«Wie kommt dieses leckere Gebäck zu seinem Namen?
Die Frage lässt mich nicht los.»

Zum türkischen Kaffee?

Mit dieser Schlacht kann es nicht zusammenhängen, das wäre zu makaber, auch wenn mich im ersten Moment die rote Konfi an Blut denken lässt. Puh, sicher nicht!
Aber, vielleicht kehrten die feinen Damen und Herren der russischen Zarenzeit am Sonntag, nach der Promenade am Ufer des Schwarzen Meeres, ein in ein vornehmes Kaffeehaus am Hafen zum Genuss von türkischem Kaffee und knabberten dazu an einer Sebastopolschnitte. Ja, so könnte es gewesen sein, das kann ich mir mühelos vorstellen!

Allerdings scheint diese Stadt in der Geschichte immer eine bis an die Zähne bewaffnete Bastion am Schwarzen Meer gewesen zu sein, woher nehme ich dann die feinen Damen. Doch, doch … Militär, Uniformen und elegantes Privatleben gab es doch eh und je neben­einander.

Wie es auch immer gewesen sein mag! Zweifellos brachte jemand das Wissen um dieses Gebäck in die Schweiz! Das muss lange her sein, schliesslich ist der Name quasi schon ausgestorben und kaum jemand erinnert sich daran, sonst hätte ich ihn in meinen 30 Jahren in der Schweiz sicher schon einmal aufgeschnappt.

Kolonie «Zürichtal»

Natürlich! Migranten und Migrantinnen! Randulins vielleicht, Bündner Zuckerbäckerfamilien, die sich weitherum und auch in Osteuropa niederliessen, um sich in der Fremde eine neue Existenz aufzubauen? Der Gedanke gefällt mir.

Manche kamen ja bald zurück, schon wegen der «Schweizer Krankheit», wie die Melancholie aus Heimweh schon im 17. Jahrhundert genannt wurde; andere wohl erst viel später, unfreiwillig sogar, aber auch froh als Flüchtlinge und Vertriebene der Weltkriege in die alte Heimat ihrer Vorfahren.

Aber zurück zur Auswanderung. Google erzählt mir nicht von Bündnern, sondern von der Kolonie «Zürichtal» auf der Krim, gegründet 1805 von 50 Familien aus dem Kanton Zürich, mausarme, die sich anwerben liessen und verstärkt durch süddeutsche Kolonistenfamilien nach schlimmen Entbehrungen über Generationen in der Fremde eine reiche, blühende zweite Heimat schaffen konnten. Auch weil sie, als Schweizer vom Dienst befreit, nicht 1853 in den russisch-türkischen Krimkrieg ziehen mussten und weiter Handel treiben konnten… – aber das ist eine andere Geschichte.

Fortsetzung folgt … vielleicht

Ich habe es ehrlich gesagt noch nicht herausgefunden, wer die Sebastopolschnitte erfunden und wie sie den Weg in die Schweiz gefunden hat. Vielleicht weiss eine Leserin oder ein Leser mehr von den einstmals ausgewanderten Vorfahren oder aus den Geschichtsbüchern der Konditoreikunst.

Mir jedenfalls hat es Freude gemacht, diese kleine Begebenheit zu erzählen und wer weiss, vielleicht schreibt ja jemand eine Fortsetzung der Geschichte …

Gewidmet Frau Marianne Ricklin, Konditormeisterin im «Trüssel», Solothurn, dem aufgestellten Team zum Dank und den neuen Besitzern, der Familie Steiner, weiterhin viel Erfolg!

Die 60-jährige Anke Röskamp ist Deutsche, verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Sie lebt seit 30 Jahren in der Schweiz und arbeitet als Psychiaterin in ihrer eigenen Praxis. Der Gang zur Bäckerei-Konditorei-Café Steiner AG und deren Café schräg gegenüber ist schon seit vielen Jahren eine regelmässige willkommene Pause und «kleine Flucht».

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