Für die selbst von Zöliakie betroffene Ernährungsberaterin Diana Studerus gehört Brot zu unserer Kultur. Mit der richtigen Herstellungsart sei Brot an sich auch nicht problematisch, erklärt sie dem «panissimo».

Aus ihrer eigenen Erfahrung und aus ihren Beratungen kennt Diana Studerus den Wunsch, trotz einer Allergie oder Unverträglichkeit ein feines Brot geniessen zu können. Dass dies möglich ist und was die ernährungswissenschatlichen Hintergründe sind, erklärt sie in diesem Interview.

Viele Bäcker/innen erfahren von Kundinnen und Kunden mit empfindlichem Magen, dass sie das Sauerteigbrot im Gegensatz zu anderem Brot gut vertragen. Wo sehen Sie den Grund dafür?
Durch die Sauerteigführung werden die im Getreide enthaltenen Oligosaccharide aufgespalten und diese können erst dadurch in unserem Dünndarm resorbiert werden. Bei einer kurzen Teigführung mit Hefe bleiben diese Moleküle in ihrer Struktur unverändert.

«Durch die Sauerteigführung werden die Oligosaccharide aufgespalten und können vom Dünndarm resorbiert werden.»

Sie können von unseren Verdauungsen­zymen jedoch nicht aufgespalten werden und verbleiben im Darm. Je nach Mikrobiom (Darmflora) werden diese dann von den Bakterien fermentiert, was die Darmbeschwerden erklärt. Manche Personen nehmen diese Beschwerden auch als «Magenbeschwerden» wahr – die Ursache liegt jedoch im Dickdarm. Grundsätzlich ist es auch mit einer Hefeführung möglich, Oligosaccharide abzubauen; nach drei bis vier Stunden Gehzeit sind sie im Brot nicht mehr nachweisbar.

Welche weiteren gesundheitlichen Vorteile hat ein teureres Sauerteigbrot mit langer Triebführung gegenüber einem rasch hergestellten billigen Normalbrot?
Wir wissen aus der Forschung, dass Sauerteig auch in der Lage ist, das Getreideprotein Gluten (teilweise) aufzuspalten, was ebenfalls für eine

«Weitaus weniger Menschen reagieren auf Gluten als auf Oligosaccharide.»

bessere Verträglichkeit verantwortlich sein könnte. Jedoch reagieren weitaus weniger Menschen auf Gluten als auf Oligosaccharide … Mich persönlich interessiert gerade die Forschung zu Gluten sehr, und es gab und gibt immer mal wieder Bestrebungen mittels spezifisch ausgewählten Bakterienkulturen ein gänzlich glutenfreies Weizensauer­teigbrot herzustellen. Unter Laborbedingungen ist dies bereits möglich – für mich als Zöliakiebetroffene wäre es eine immense Verbesserung der Lebensqualität, so ein Brot essen zu dürfen! Schauen wir, was die Zukunft bringt …

Wie wichtig ist es für die Bekömmlichkeit der Brote, dass sie – mit oder ohne Sauerteig – eine lange Teigruhe bzw. Triebführung erhalten?
Aus meiner klinischen Erfahrung mit Menschen mit Verdauungsbeschwerden kann ich sagen, es ist DAS Wichtigste! Egal ob Weizen oder Dinkel, Hefe oder Sauerteig …,

«Wenn das Brot Zeit hatte, ist die Verträglichkeit gegeben.»


wenn das Brot Zeit hatte, ist die Verträglichkeit gegeben. Und der Geschmack umso besser! Meine Patientinnen und Patienten sind immer sehr dankbar, wenn sie merken, dass nicht das Brot an sich problematisch ist, sondern die Herstellungsart. Das eröffnet therapeutisch viele Möglichkeiten, und kein Brot essen ist in unserer Kultur fast nicht möglich, daher ist eine solche Info für viele ein Segen.

Das deutsche Wort «Sauerteig» tönt im Gegensatz zum französischen «levain-chef» oder italienischen «livieto madre» für eine wenig informierte Kundschaft nicht gerade ansprechend. Wie würden Sie einem Laien Sauerteig erklären?
Sauerteig hat nichts mit saurem Brot zu tun, sondern führt durch die Zugabe von ausgewählten Bakterienstämmen (unter anderem Milchsäurebakterien) zu einem biochemischen Umbau des Getreides, der das Brot verträglicher und länger haltbar macht. Es ist die traditionelle Art Brot zu backen, und manche Getreide sind nur durch Säure überhaupt backfähig. Ich vergleiche es gerne mit der Herstellung von Käse; erst die Mikroorganismen machen den Käse zum Käse. So ist es auch beim Brot; die Bakterien geben Geschmack, Textur, helfen der Verträglichkeit. Und – ich weiss nicht, ob es stimmt – das Brot ist durch die enthaltenen Bakterien eine Art Probiotika der Natur.

Wie kann das Verkaufspersonal einer Bäckerei die Vorteile von Sauerteigbrot am besten kommunizieren?
Schwierige Frage. Ich würde einen Flyer oder eine Infotafel dazu gestalten, zum Beispiel: 5 Dinge, die Sie über Sauerteig noch nicht wissen … Für Marketing- und Kommunikationsstrategien bin ich nicht die Spezialistin, doch ich treffe in meiner Praxis häufig auf Personen, die mir dann solche Flyer zu unterschiedlichsten Themen mitbringen und das dann diskutieren wollen … Wissenschaftlich korrekt über die Vorteile von Sauerteig zu infor­mieren und die Menschen dafür zu sensibilisieren finde ich wichtig, genauso könnte man jedoch auch über den Geschmack überzeugen: vielleicht eine «Probiererli» an­bieten?

Sie beraten Menschen mit Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten und Allergien und geben auch Backkurse für glutenfreies Brot. Wie wichtig ist dabei neben der physischen auch die psychische Gesundheit und damit der Genuss?
Ich halte nicht viel von der Unterteilung in Körper und Psyche … daher sehr, sehr, sehr wichtig! Ausgrenzung, Stigmatisierung oder blöde Kommentare sind für viele Menschen mit Unverträglichkeiten und Allergien (noch immer) an der Tagesordnung, wenn auch in den letzten Jahren die Thematik in unserer Gesellschaft «angekommen» ist.

«Der Genuss beim Essen ist sehr, sehr, sehr wichtig!»


Gleichzeitig braucht das Thema Essen und alles, was damit verbunden ist, viel Zeit und Energie im Alltag der Betroffenen … Diese psychoso­zialen Fragen haben in meiner Sprechstunde viel Platz, genauso aber auch die Weitergabe von guten Rezepten, die wirklich funktionieren, oder eben Bezugsquellen von Produkten. Ich bin der Meinung, dass Essen auch mit zahlreichen Einschränkungen dennoch Freude machen kann und mit viel Genuss verbunden ist – viele Betroffene bewältigen diese Schwierigkeiten ohne Hilfe, und andere Menschen unterstütze ich auf dem Weg dahin.

Welches Brot haben Sie persönlich am liebsten?
Bevor ich von meiner Zöliakie wusste das selbstgebackene Brot meiner Oma und das Brot, das es im Maggia-Tal im Tessin immer gab – Kinderheitserinnerungen! Heute mein glutenfreies Brot aus Haferflocken und Buchweizen, mit Sauerteig auf Quinoabasis hergestellt und dann im gusseisernen Topf gebacken.

Diana Studerus

Seit zwölf Jahren arbeitet Diana Studerus als Ernährungsberaterin SVDE mit Schwerpunkt Verdauungsbeschwerden und studiert derzeit im Master Ernährung und Diätetik. Sie engagiert sich in Lehre und Forschung und schreibt gelegentliche Gastkolumnen fürs «Fachblatt» von Richemont.

Weitere Infos:
www.foodonrecord.com

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