Patrick Mahler ist Chefkoch im Sternerestaurant focus Atelier Park Hotel Vitznau (LU). Auf seinem Menü befindet sich seit Jahren ein Brotgang. Der Chef erklärt, warum das Brot, das ihm ein altbekannter Bäcker liefert, bei ihm eine derart grosse Plattform erhält und was er dazu serviert.

Manchmal, sagt Patrick Mahler, braucht es nur Brot und Butter. Und einen Dip. Auf alle Fälle aber gebührt dem Brot eine grosse Bühne. Und diese bietet der Sternekoch. Das Brot bekommt einen eigenen Gang im Menü. Angekündigt wird es kurz und knapp.

Der Brotgang im Restaurant focus Atelier im Park Hotel Vitznau folgt im Menü an vierter oder fünfter Stelle, je nachdem (von bis zu zwölf Gängen, und da sind die Snacks und Friandises nicht mitgerechnet!). Der Frischkäse, der dazu gereicht wird, ist ja auch nicht immer derselbe. Im Moment ist er mit Liebstöckel abgeschmeckt. Ausgerechnet! Das Kraut passt wie fast nichts zum Sauerteigbrot. Liebstöckel ist «chüschtig» und kitzelt den Gaumen, stiehlt aber dem Brot nicht die Show.

Zubereitung des Brotgangs

Das focus Atelier ist mit 18 Gault&Millau Punkten und zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Das heisst, erst werden Snacks gereicht sowie mehrere Vorgänge. Und dann das Sauerteigbrot, und zwar an einem der besten Plätze im Menü: Die Gäste sind angekommen (im wörtlichen und übertragenen Sinne!), aber noch sind die Geschmacksknospen nicht überreizt, noch wird die Aufmerksamkeit vollumfänglich auf den Teller gelegt, noch ist der Abend jung. Und das Brot frisch. Es kommt vom Eigenbrötler Daniel Amrein aus Wauwil (LU), der 2022 die Bäckerkrone erhalten hat.

Der «matchentscheidende» Gang

Für Patrick Mahler, er ist mehrfach ausgezeichneter Chefkoch, ist der Gang «matchentscheidend», wie er sagt. Warum? Aus drei Gründen. Erstens: «Sucht man ein Restaurant auf, hat man in der Regel Hunger. Brot oder ein «Brotkörbli» stehen schnell auf dem Tisch. Das Brot schmeckt gut. Was passiert? Man ist satt, bevor das Essen überhaupt begonnen hat.» Das findet er schade. Geht es nach dem Gourmetkoch, soll der Gast aber erst einmal in Ruhe mit dem Mahl beginnen, ohne gleich schon ein Sättigungsgefühl zu verspüren.

Eine Plattform fürs Backen

Der zweite Grund, und das ist dem Chef vielleicht am wichtigsten: «Backen ist ein Handwerk, das eine entsprechende Plattform erhalten soll.» Oder anders: Wenn nur Brot (und Sides wie Butter und Frischkäse und Salz) auf dem Tisch stehen, haben die Gäste – der Koch setzt ein schlaues Lächeln auf – nichts anderes zu tun, als zu geniessen.

Es tönt fast ein bisschen wie Yoga, keine Ablenkung, den Fokus sollen die Gäste im focus auf ein so wichtiges Lebensmittel setzen. Und mehr, wobei wir bei drittens angelangt sind: In einer Küche wie im focus Atelier sind alle Gänge wohl überlegt, die Abfolge von Speisen folgen einer Logik. «Da gibt›s nichts Schlimmeres, als wenn man Brot mitisst», sagt er, fast hört man den Anflug von Verzweiflung aus seiner Stimme heraus. Er mag gar nicht daran denken. «Mit Brot stimmt ja gar nichts mehr, man isst – via Brot – zu viel Salz, und es ist dann vielmehr Brot mit etwas statt etwas, das mit Brot gereicht wird. In der Art von Küche, wie wir sie betreiben, ergibt es einfach keinen Sinn.»
Der Zeitpunkt des Brotgangs ist auch aus einem anderen Grund nicht zufällig gewählt: Er bedeutet den Übergang von kalten zu warmen Speisen.

Patrick Mahler ist Chefkoch im Sternerestaurant focus Atelier Park Hotel Vitznau

Es wäre schade, das Brot «inezchlöpfe»

Küchenchef Patrick Mahler ist Fan von diesem Konzept, das sein Vorgänger, Nenad Mlinarevic (unter anderem bekannt aus der TV-Serie «Masterchef Schweiz»), vor vielen Jahren eingeführt hat. Er will einfach nicht, dass man sich «Brot am Anfang inechlöpft». Es wäre ja auch schade. «Weltklasse», findet der Küchenchef, sei der Eigenbrötler, der mit seiner unangepassten Art bei vielen Kundinnen und Kunden – auch in der Gastronomie – schon fast Kultstatus geniesst. «Er ist so, so toll.»

Eigenbrötlers Warteliste

Tatsächlich so toll, dass der Bäcker aus dem Luzernischen eine Warteliste hat mit Restaurants, die sein Brot wollen. Derzeit liefert er – neben den Märkten in Luzern – unter anderem auch an Nenad Mlinarevics neue Restaurants, die Bauernschänke und die Neue Taverne in Zürich, ans Mandarin Oriental Savoy in Zürich, ans Restaurant Lucide im KKL in Luzern, aber auch nach St. Moritz, ins Badrutt›s Hotel. Und an die drei Restaurants in Vitznau, ins focus Atelier zu Patrick Mahler, ins Grill Restaurant Seeterrasse und in die Verlinde Bar.

Eigenbrötler Daniel Amrein liefert das frische Brot

Warum macht Küchenchef Mahler das Brot eigentlich nicht selber? «Die Qualität, das Handwerk! Man merkt einfach den Unterschied.» Und weiter: «Ich sage nicht, ich bringe kein Brot zustande. Aber ein Eigenbrötler-Brot? Niemals. Er ist ein absoluter Profi.» Patrick Mahler verwirft die Hände. «Mutterteig? Kann ich nicht, und der Aufwand ist einfach zu gross. Logistisch und handwerklich nicht. Die Umsetzung wäre zu schwierig.»

Das Schöne am Chefkoch, bei dem man die Begeisterung fürs Brot jederzeit spürt (oder ist es Liebe?), ist, dass er den Gang wirklich zu schätzen weiss, was bedeutet, dass er sich auch über Food Waste Gedanken macht. «Wenn ich nicht berechnen kann, muss ich angefangene Brotstücke wegwerfen. Das will ich nicht.» Pro Person wird ein Viertel des Buchweizen-Sauerteigbrots (Teigeinlage 170 Gramm) berechnet. Das mache satt und glücklich. Und wenn nicht, wird nachgereicht. Aber keinesfalls würden Brotstücke auf dem Tisch vertrocknen, weil von Anfang an zu viel serviert worden ist.

Sauerteigbrot, Belper Knolle, Süssrahmbutter, Frischkäse

Das Brot ist der Star, klar, aber dieser glänzt noch heller, wenn er die richtigen Begleiter um sich schart. Die Beilagen in diesem Gang variieren. Patrick Mahler schaut gerade zufrieden auf den wunderschönen Butterturm, der jetzt als Bestandteil des Brotgangs auf dem Tisch steht. Zufrieden, weil die Butter wie ein Kunstwerk aussieht, oder, wie es der Chefkoch ausdrückt, nicht wie ein «Pflock». Es ist Goldbutter, Süssrahmbutter (eine klare, unverarbeitete Butter), dazu gibt’s Belper Knolle und einen saisonalen Dip, mit Trüffel zum Beispiel oder Kräutern. Manchmal, philosophiert der Spitzenkoch, manchmal brauche es einfach nur Brot und Butter, fertig. Aber manchmal eben auch mehr.

Ein dazu passendes Getränk

Nun ist es so, dass auf einem Menü, das so viel Wert auf die einzelnen Gänge legt, auch die Getränke eine grosse Rolle spielen. Bekommt der Brotgang eine eigene Begleitung? Tut er – manchmal. Sie hätten etwa schon Nitro Coffee dazu serviert. Dieser «frisch gezapfte» Kaffee passe hervorragend, sagt der Chefkoch. Eine Spielerei, natürlich, aber eine schöne: Dazu wird ein sogenannter Cold Brew (kalt aufgebrühter Kaffee) mit Stickstoff versetzt, der Aufguss wird gezapft wie ein Guinness, und ähnlich sieht es auch aus. Cremig, mit Schäumchen. Apropos Schaum: Im focus wurde auch schon Bier zum Brot serviert. Nach Feinabstimmung mit dem Sommelier. «Wenn’s passt, machen wir das, aber Pflicht ist das nicht.»

Und eine Weinbegleitung? Patrick Mahler überlegt. Es kommt drauf an, sagt er dann, Weisswein sicher, wenn Alkohol. Ist denn das nicht zu viel? Man kann sich ja mit einem eigenen Brotgang genauso überessen wie anhand des gängigen «Brotkörblis». Nein, findet der Koch. Es ist alles genau berechnet und «geht super auf». Der Brotgang, sagt jetzt Mahler (und setzt wieder seine Philosophenmiene auf), habe noch eine Funktion, und zwar für beide Seiten, die Köch/innen und die Gäste. Für die Küche ist die Zeit, in der das Brot auf dem Tisch steht, auch eine Art Puffer. Ein kurzes Verschnaufen, bevor es an die Gänge der warmen Küche geht.

Für die Gäste gilt Ähnliches: Diese haben sich nicht schon am Anfang zu viel «reingebuttert», und das Menü kann weitergehen. Mit einem glücklichen Gefühl im Bauch, hofft Patrick Mahler.

focus Atelier Park Hotel Vitznau

Eigenbrötler Backwerke

Nina Kobelt


Neue Serie «Brot & Gastronomie» im «Panissimo»

Seit Februar 2025 gilt die Herkunftsdeklarationspflicht für Brot und Feinbackwaren auch in der Gastronomie – eine perfekte Gelegenheit, das Thema im «Panissimo» aufzugreifen. Einige Gastronom/innen machen es vor: Sie inszenieren Brot, beispielsweise stilvoll mit hochwertigem Olivenöl und Meersalz oder integrieren es in ihren Menüs und nennen die Bäckerei-Confiserie. Diese Serie soll die Wertschätzung für Brot steigern und Gastronom/innen sowie die SBC-Mitglieder motivieren, neben dem Herkunftsland auch die Bäckereien-Confiserien zu nennen – wie bei Fleisch oder Wein. Wir präsentieren inspirierende Beispiele.

Das könnte Sie auch interessieren

Die «eigenbrötler Backwerke GmbH» gewinnt die «Bäckerkrone 2022»