Bäcker-Konditor Stephan Oberson spricht über das Thema Urlaub von Vorgesetzten. «Wir brauchen auch Ruhe, um uns zu regenerieren und neu zu erfinden», sagt der Genfer.

Es ist einige Jahre her … Meine Ehefrau und ich konnten auf Einladung eines Lieferanten während unseren Ferien dem Leichtathletik-Meeting Athlétissima in Lausanne beiwohnen. Während des Empfangs lernten wir Berufskollegen kennen. Aus Aktualitätsgründen fokussierte sich die Diskussion auf die Ferien. 

Fünf Wochen in den USA
Als wir ihnen erklärten, dass wir vier Wochen Ferien haben, waren alle über die Länge des Urlaubs überrascht. Aber wir zwei waren ebenso erstaunt, als wir erfuhren, dass sich einige nur eine kleine Woche Ferien pro Jahr gönnen. 
Die Gründe dafür sind zweifellos vielfältig, werfen allerdings gewisse Fragen auf.
Wir wagten uns nicht zu erzählen, dass wir vor einem Jahr gar für fünf Wochen in die USA vereist waren, um der Hochzeit einer unserer Töchter beizuwohnen. Klar, eine Hochzeit dauert nicht fünf Wochen. Wir haben nach dem Anlass eine wunderbare Rundreise im Gebiet zwischen den USA und Kanada gemacht. 
Seit dem 1. Januar 2019 haben alle Mitarbeitenden – gelernte und ungelernte – in unserer Branche ein Anrecht auf jährlich fünf Wochen Ferien. Ohne auf den Grund des Problems zurückzukommen, ist dies eine schöner sozialer Fortschritt für unsere Mitarbeitenden, die oft eine Arbeit leisten, die ich als mühsam bezeichne, vor allem für diejenigen unter ihnen, die nachts tätig sind. Aber wie steht es für uns, die Chefs der Betriebe?

Die Ursache
Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit unterscheiden wir zwischen zwei sehr unterschiedlichen Ausgangslagen. Erstens, die Betriebe, die ein Geschäft haben, das aufgrund der Aktivitäten geschlossen werden kann. Zweitens, diejenigen Betriebe, die ein Geschäftsmodell mit mehreren Filialen haben und deshalb keine Betriebsferien machen können. 
Aber die Ursache des Problems für uns Gewerbetreibende ist – ungeachtet der Kosten, die daraus entstehen – dass es uns oft schwer fällt, um nicht zu sagen gar unmöglich ist, uns für eine lange Periode Ferien zu genehmigen. Wie sicherlich viele von euch, hatten meine Ehefrau und ich wenige, ja gar keine Ferien. Das war ein grosser Fehler. Wir werden früher oder später auf die eine oder andere Art dafür zahlen müssen – mit der Gesundheit. Und den Preis, den man dafür bezahlt, ist oft viel höher als den für eine einfache Ferienwoche. 
Heureka! Wir unterscheiden uns nicht so sehr von unseren Mitarbeitenden, in diesem Punkt auf jeden Fall. Wir benötigen ebenfalls Erholung, um neue Kraft zu tanken und uns neu zu entdecken. Meine Ehefrau und ich haben uns konsequent organisiert – im Verkauf wie auch in der Produktion – damit wir mindestens vier Wochen Ferien pro Jahr machen können. Auf einmal oder in Tranchen. Egal, welchen Preis wir dafür bezahlen. Wichtig ist, dass die Bereichsleiter ihre Verantwortung wahrnehmen und akzeptieren. Aber vor allem – und dies ist wahrscheinlich die grösste Herausforderung – mussten wir lernen zu delegieren und insbesondere Vertrauen zu schenken. 

Vertrauen geschenkt
Das Resultat war überraschend: Wir sind in unseren Ferien nie gestört worden. Oder was noch schlimmer wäre: Wir mussten unseren Urlaub nie aufgrund eines unlösbaren Problems unterbrechen. Unsere Mitarbeitenden haben jederzeit Reife bewiesen. Aufkommende Probleme konnten sie lösen oder dafür sorgen, dass diese nach unserer Rückkehr behoben werden konnten. Im Klartext: Sie haben ihre Rolle und ihre Pflichten perfekt wahrgenommen. Sie haben vor allem aber das ihnen geschenkte Vertrauen geschätzt.
Uns hat es ermöglicht, eine verdiente Ruhepause zu nehmen, uns mit etwas anderem zu beschäftigen, sportlich, kulturell usw., um schliesslich Lust zu kriegen, andere Berufskollegen zu besuchen, oft Quelle der Inspiration, was vorteilhaft für unseren Betrieb ist. 
Ich wünsche euch schöne Ferien – und nutzt sie!

Stephan Oberson, Chevalier du bon pain und Inhaber der Bäckerei Oberson in Bernex (GE) mit Filialen in Cointrin, Meyrin, Petit-Lancy und Satigny.

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