Vor einem Jahr hat Patrick Lobsiger das Zepter bei Pistor AG in Rothenburg (LU) übernommen. Was hat sich seither verändert? Was wird sich künftig ändern? Wie steht es um die geplanten Projekte? Im Interview eine Zwischenbilanz und ein Blick in die Zukunft mit Patrick Lobsiger.
Welche Veränderungsprozesse haben Sie in Ihrem ersten Jahr als CEO angestossen?
Ich übernahm den Job bei Pistor direkt nach der Corona-Krise. Mein Fokus galt zwei Dingen: Erstens, Pistor auf die operativen Herausforderungen nach der Pandemie vorzubereiten. Das haben wir gut gemeistert und darum einen sehr erfreulichen Jahresabschluss erzielt. Und zweitens will ich unser Unternehmen strategisch auf die Zukunft ausrichten, also auf weiteres Wachstum.
Können Sie Beispiele nennen?
Zum Beispiel im Bereich der Logistikprozesse, die wir mit dem Bau eines neuen Verteilzentrums in der Ostschweiz und der Erweiterung unsere Warenumschlagszentrums in Rothenburg ausbauen möchten. Unsere Digitalisierung treiben wir mit dem digitalen Marktplatz Mercanto sowie mit der Modernisierung unserer IT-Betriebssysteme voran. Auch unser Sortiment erweitern wir laufend. All dies kommt unseren Genossenschaftern und Kunden zugute.
Sie haben Meranto erwähnt. Wie weit ist dieses zukunftsweisende Projekt vorangeschritten?
Unsere Welt wird immer digitaler und setzt immer stärker auf Plattformen. Kleider kauft man heute über Zalando, Musik hört man auf Spotify. Wir wollen Pistor zukunftsweisend aufstellen und bauen mit Mercanto deshalb unsere eigene digitale Plattform. Mercanto ist ein digitales Warenhaus, in dem auch unsere Bäckerei-Confiserie-Kunden alles finden sollen, was ihr Herz begehrt. Also Produkte von Pistor, aber auch Produkte von anderen Anbietern. Mit dieser «One-Stop-Shop-Lösung» möchten wir den Bestellprozess vereinfachen und dank Zusatzdienstleistungen Mehrwerte schaffen. Bis Ende des Jahres möchten wir erreichen, dass alle bestehenden Kunden auf Mercanto einkaufen.
Was hat Sie in Ihrem Premierenjahr am meisten überrascht?
Die Pistor-Unternehmenskultur. Sie ist eine einzigartige Kombination aus soliden Unternehmenswerten und einer enorm hohen Leistungsbereitschaft unserer Mitarbeitenden. Sie geben jeden Tag alles dafür, die Pistor-Genossenschafter und -Kunden glücklich zu machen, und das über alle Unternehmensstufen hinweg.
Bald werden Ihre Zahlen 2022 veröffentlicht. Ist Pistor weiter auf Wachstumskurs?
Auch wenn ich noch keine konkreten Zahlen nennen kann, darf ich vorwegnehmen: Es war ein anstrengendes, aber erfolgreiches Jahr. Wir haben die steigende Nachfrage – welche vor allem im Bereich der Gastronomie und Hotellerie anfiel – zuverlässig bedient und konnten Kunden hinzugewinnen. Natürlich hatte auch unser Unternehmen mit Inflation, Verfügbarkeiten, Fachkräftemangel und mit der Energiekrise zu kämpfen. Aber: Wir waren gut darauf eingestellt. Um unsere Genossenschafts-Mitglieder in dieser schwierigen Zeit finanziell zu unterstützen, hat sich der Pistor-Verwaltungsrat für eine Sonderprämie und weitere stabilisierende Massnahmen entschieden. Zusammen mit unseren zuverlässigen Dienstleistungen und der generellen Rückvergütung, die Genossenschafter jährlich erhalten, haben wir einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung der Branche geleistet.
Schwindet mit dem Wachstumskurs der Stellenwert der gewerblichen Bäckereien und Confiserien?
Bäckereien-Confiserien sind und bleiben unsere wichtigste Kundengruppe. Die Wichtigkeit schmälert sich auch dadurch nicht, dass wir unsere zwei weiteren Geschäftsfelder Gastronomie und Gesundheitsbetriebe stetig ausbauen und es daher in Zukunft prozentuale Verschiebungen im Gesamtumsatzanteil geben kann. Wir wissen, wo unsere Wurzeln liegen und kennen unseren genossenschaftlichen Auftrag.
Vor Covid war unsere Branche das Sorgenkind von Pistor. Während der Pandemie gab es einen leichten Aufwärtstrend. Wie zeigt sich die aktuelle Situation?
Wir selber sehen die Branche nicht als Sorgenkind. Seit vier Jahren wächst Pistors Umsatz mit Bäckereien und Confiserien auf tiefem Niveau stetig. Im Jahr 2021 lag er bei 357,7 Millionen, dies bei einem Totalumsatz von 614 Millionen.
Eines unserer strategischen Ziele lautet, unsere Eigentümer langfristig zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Wir tun dies über finanzielle Dienstleistungen, Branchenberatungen via Proback, die finanzielle Unterstützung der Branchenverbände und mit unserem zuverlässigen Lieferservice. Ich denke, wir konnten während der vergangenen Krisen zeigen, dass auf Pistor Verlass ist und dass wir unseren Genossenschaftern auch in stürmischen Zeiten zur Seite stehen.
Wie beurteilen Sie die Nachfragesituation nach Bäckereiprodukten in der Schweiz?
Wir spüren, dass Verkaufsargumente wie gewerbliches Handwerk, Regionalität und die Produktqualität wieder stärker nachgefragt werden. Leider kann man nicht von einem allgemeinen Aufwärtstrend sprechen: Die Entwicklung unserer genossenschaftlichen Kunden ist sehr individuell und hängt unter anderem von ihrem Standort und der lokalen Konkurrenzsituation ab.
Pistor baut in Sennwald ein neues Verteilzentrum für 18.5 Mio. CHF. Wie schreiten die Arbeiten voran?
Als Genossenschaft reinvestieren wir unser Geld in die Zukunft. Wir bauen neue Infrastruktur, um unseren Kunden und Genossenschaftern Mehrwert zu bieten. Wir wollen die effizienteste und zuverlässigste Lieferkette bieten, die am Markt zu finden ist. Kommt hinzu: Je effizienter wir sind, desto mehr Effizienzgewinne können wir zurückgeben. In Sennwald ist der Spatenstich noch nicht erfolgt. Unser Ziel ist es aber, das Verteilzentrum im Laufe des Jahres 2024 zu eröffnen.
Welchen Nutzen haben die SBC-Mitglieder von dieser Investition?
Unseren Ostschweizer Kunden können wir verschiedene Vorteile bieten: Sie profitieren von mehr Liefertagen, schnelleren Wegen und vor allem von einer nachhaltigen Belieferung. Indem wir die Produkte in der Nacht per Bahn nach Sennwald transportieren, können wir frühmorgens auszuliefern beginnen. Ausserdem bauen wir sehr ökologisch, etwa mit Holz und Solaranlagen, und nutzen wo möglich elektrische Lastwagen. In ähnlichem Umfang bieten wir diese Lösung bereits mit unserem Westschweizer Verteilzentrum in Chavornay.
Im Weiteren bestehen Vorhaben, den Hauptsitz in Rothenburg auszubauen. Wie sieht hier der Zeitplan aus?
Die Stimmbevölkerung hat erst kürzlich grünes Licht für unsere Erweiterung gegeben. Wir befinden uns daher noch in einem sehr frühen Planungsstadium. Wir schätzen, dass der Spatenstich im Jahr 2026 erfolgen könnte. Wir setzen das Bauprojekt voraussichtlich in drei Etappen um, wobei jede Etappe rund zwei Jahre dauern wird.
Welches sind die Schwerpunkte des Ausbaus?
Wir wachsen in allen Kundensegmenten. In Rothenburg geht es darum, uns auf das Wachstum der nächsten zehn Jahre auszurichten. Wir planen neue Lager-, Warenumschlags- und Distributionsflächen. Hinzu kommen Parkplätze sowie Büroflächen. Langfristig beanspruchen wir 31’700 Quadratmeter Land, was vier Fussballfeldern entspricht.
Von welchem Investitionsvolumen sprechen wir da?
Wir können noch keine detaillierten Berechnungen anstellen. Basierend auf dem heutigen Grobkonzept gehen wir aber von einem zweistelligen Millionenbetrag aus, den wir in hochautomatisierte Logistiklösungen und somit in zuverlässige Dienstleistungen investieren werden.
Wie viele Mitarbeitende wird Pistor nach dem Ausbau voraussichtlich zählen?
Nicht die Standorterweiterung ist der Treiber für unseren Personalaufbau, sondern unser Wachstum und die Weiterentwicklung unserer Dienstleistungen. Im letzten Jahr ist unser Personalbestand um zehn Prozent gewachsen, sodass heute 616 Mitarbeitende für Pistor tätig sind. Bis 2035 dürften es deutlich mehr sein.
Pistor hat Vorhaben aufgrund der Pandemie auf Eis gelegt, zum Beispiel die Umstellung auf das Datenverarbeitungsprogramm SAP. Wie steht es darum?
Wir haben die vorübergehend gestoppten Projekte letztes Jahr wieder angestossen. Insbesondere punkto SAP gehen wir vorwärts: Der Aufbau einer modernen IT-Infrastruktur ist für unsere digitalen Geschäftsmodelle entscheidend. Wir sind überzeugt, dass SAP dafür eine sehr gute Basis sein wird.
Apropos Pandemie: Spürt Pistor noch die Nachwehen von Covid?
Nein. Covid brachte grosse Herausforderungen mit sich, es war eine schwere Zeit. Wir haben sie allerdings gut gemeistert und schauen in die Zukunft.
Die Energie ist ein Dauerthema. Wie stark hat dies Pistor in der Entwicklung beeinträchtigt?
Schlussendlich gar nicht. Klar, unser Logistikbetrieb ist vollumfänglich auf Strom angewiesen, aber zum Glück kam es bislang zu keinen Einschränkungen im Energiebereich. Und sogar wenn sich das doch ändern sollte, sind wir gut darauf vorbereitet. Wir haben ein Notfallkonzept erarbeitet, das sämtliche Szenarien abdeckt. So wissen wir: Wir könnten unseren Stromverbrauch durch verschiedene Sofortmassnahmen um 15% senken, ohne dass dies für unsere Kunden Auswirkungen hätte. Natürlich versuchen wir schon heute laufend, unseren Energiebedarf zu senken und damit einen Beitrag zur Stromverbrauchsreduktion in der Schweiz zu leisten.
Wie stark macht Pistor die Inflation zu schaffen?
Wie jedes andere Unternehmen auch ist Pistor stark von der Inflation betroffen. Die Anzahl an Preisveränderungen, die wir im 2022 verarbeiten mussten, war viermal so hoch wie im Vorjahr. Wenn immer möglich haben wir versucht, produktbezogene Preiserhöhungen für unsere Kunden abzufedern: Die intern gestiegenen Kosten aufgrund der Inflation – also beispielsweise Strom, Treibstoff, Ersatzteile oder Betriebsmittel – haben wir nicht 1:1 weitergegeben. Mit diesen preisstabilisierenden Massnahmen haben wir im Sinne unserer Kunden gehandelt und unseren Beitrag als Genossenschaft geleistet.
In unserem letzten Interview im Herbst war die Versorgungssicherheit ein Thema. Können Sie da Entwarnung geben?
Die lokalen und internationalen Logistikketten haben sich gefangen. Es kommt punktuell zwar immer noch zu Lieferverzögerungen, aber unsere Kundinnen und Kunden dürfen bei Pistor auf eine zuverlässige Belieferung zählen.
Pistor AG ist mit SV Group eine Partnerschaft eingegangen? Welchen Nutzen haben unsere Mitglieder bzw. Ihre Kundinnen und Kunden?
Je breiter und solider Pistor aufgestellt ist, desto stabiler kommt sie durch schwierige Zeiten wie in den letzten Jahren – und eine desto zuverlässigere Partnerin ist sie für ihre Genossenschafter und Kunden. Kooperationen wie jene mit der SV Group sind wichtig. In langfristigen Partnerschaften lassen sich nämlich Kompetenzen kombinieren und innovative Dienstleistungen entwickeln, von welchen alle profitieren können. Gleichzeitig hilft uns diese Partnerschaft, Skalenerträge im Geschäftsprozess zu erwirtschaften und damit unsere Prozesskosten zu senken. Dies wiederum hilft indirekt auch unseren Mitgliedern.
Einiges ist in Planung. Haben Sie gemeinsam mit dem Verwaltungsrat weitere Vorhaben in der Pipeline, von denen wir noch nichts wissen?
Nein, derzeit nicht. Wir kommunizieren stets transparent über alle grösseren Vorhaben. Wir fühlen uns mit den bereits laufenden, zukunftsweisenden Projekten gut gerüstet und sind davon überzeugt, dass wir Pistor dadurch fit für die Zukunft machen. Auch die nächsten Generationen werden von Pistor profitieren können.
Welche Tipps geben Sie unseren Mitgliedern ins 2023 mit?
Wir glauben: Das Jahr 2023 wird ebenso dynamisch wie das letzte. Die weiterhin hohe Inflation, der Fachkräftemangel, die Energiefrage und sich ständig verändernde Kundenbedürfnisse werden uns alle stark fordern. Da heisst es, flexibel zu bleiben, kreativ zu sein und Chancen zu packen, wenn sie sich auftun.
Interview Claudia Vernocchi