Anfang August haben zahlreiche Jugendliche den ersten Schritt ins Berufsleben gemacht. Auch in den Bäckereien-Confiserien war, mit Ausnahme des Tessins, Lehrstart. Im Interview stellen die beiden Ausbildungsberatenden des Kantons Bern, Karin Schönfeld und Adrian Hängärtner, dem kantonalen Branchenverband der Bäckerei-Confiserie ein gutes Zeugnis aus und auch beim Nachwuchsmangel prognostizieren sie Licht am Horizont.

Unsere Branche leidet, wie andere handwerkliche Berufe auch, unter Nachwuchsmangel. Wie beurteilen Sie die Situation?

Adrian Hängärtner (AH): Grundsätzlich sind nicht nur die handwerklichen Berufe betroffen. Es leiden alle darunter. Der Hauptgrund liegt daran, dass wir zu wenig Jugendliche haben, die aus der Schule kommen. Die Aussichten sind allerdings positiv: Im Kanton Bern sind die Zahlen aufsteigend.

Haben Sie, aufgrund Ihrer langjährigen Tätigkeit, ein Rezept für unsere Mitglieder?

AH: Es reicht nicht einfach als Lehrbetrieb da zu sein und Lernende zu finden. Man muss aktiv auf die Jungen zugehen und die Lehrstellen bewerben, den Betrieb zeigen. Ein paar Beispiele aus den verschiedenen Branchen: Schulbesuche oder die Schulklassen zum Grittibänzbacken einladen, Nacht der offenen Tür. Oder: Die Lehrstelle im eigenen Schaufenster, das von Lernenden gestaltet worden ist, bewerben. Social Media ist dabei sehr nützlich. Zudem müssen die Lehrstellen auf allen Kanälen ausgeschrieben werden. Aber das Wichtigste ist die Mund-zu-Mund-Werbung: Wenn die Jugendlichen zufrieden sind, tragen sie dies auch nach aussen.

Karin Schönfeld (KS): Wesentlich ist auch, dass Schnupperlehren angeboten werden. Da kann der Beruf mit der Produktevielfalt und mit dem Kontakt mit den Kund/innen gezeigt werden. Es können die Vorteile gegenüber den Grossverteilern, wo schwergewichtig die Bewirtschaftung gemacht wird, hervorgehoben werden. Wir stellen leider fest, dass Schnupperlehren immer weniger angeboten werden. Oft finden sie nur noch an einem oder an zwei Tagen statt. Es wäre toll, wenn die Jungen länger schnuppern könnten!

Wie erleben Sie die aktuelle Situation der Lernenden in unserer Branche?

AH: Wir haben unter den Lernenden sicher viele gute und motivierte. Dies sehen wir in den üKs. Grundsätzlich hat es weniger Lernende, dadurch gibt es mehr offene Lehrstellen. Das heisst, die Lernenden haben eine grosse Auswahl. Was wir von den Jugendlichen hören: Sie wünschen sich eine Führung, eine Ausbildung und dass sie im Team integriert sind.

KS: Es gibt motivierte Lernende, die stolz auf ihren Beruf sind. Ich erinnere an die SwissSkills oder an die anderen regionalen und kantonalen Wettkämpfe …

Was hat sich im letzten Jahrzehnt grundlegend geändert?

AH: Es hat sich einiges verändert! Die Zusatzlehre in der Produktion ist deutlich attraktiver geworden. Das ist ein Modell, das sich sehr gut bewährt. Wir stellen fest, dass sehr viele Betriebe heute weniger Zeit haben, um auszubilden. Dadurch hat die Bereitschaft entsprechend abgenommen. Ausbilden, das muss man gerne machen, das kann nicht by-the-way geschehen. Es braucht Engagement, Zeit.
Die Ausbildung ist in den letzten Jahren professioneller geworden. Die Betriebe erhalten heute auch mehr Unterstützung, durch die Richemont Fachschule, durch die üK, durch die Berufsfachschule. Ihre Arbeit ist ausgezeichnet. In letzter Zeit gibt es vermehrt Betriebsschliessungen. Dadurch müssen Lernende umplatziert werden. Das war bisher immer sehr problemlos. Man merkt, dass die Branche einander hilft.  

KS: Das kann ich bestätigen. Da wird geholfen. Die Branche funktioniert!

AH: Allerdings sind die Eltern etwas weniger tolerant. Der Samstag wird als Arbeitstag immer unbekannter. Wir empfehlen den Betrieben, ihre Schnupperlehren von Dienstag bis Samstag anzubieten. Sonst gibt es immer wieder Diskussionen. Wir stellen eine weitere Tendenz fest: Die Lernenden wollen schneller den Betrieb wechseln, wenn es nicht so rund läuft. Der Grund liegt sicher darin, dass es ein Überangebot an freien Lehrstellen auf dem Markt hat.

KS: Heute gibt man schneller auf und sucht rascher eine neue Lösung. Es ist unverbindlicher. Früher war man sich nicht bewusst, dass einem diese Möglichkeit zur Verfügung steht. Heute ist man sich dessen bewusst.

AH: Und was ich ebenfalls feststelle: Es werden nur wenige Lehrverträge wegen Mehlallergie aufgelöst, was erfreulich ist. Vor 15 Jahren waren es jährlich mehrere, mittlerweile ist es einer alle paar Jahre.

Woran liegt es?

AH: Die Lehrverhältnisse werden vorgängig geprüft. Heute ist der Fragebogen wie die Nachtarbeitstauglichkeit eine Voraussetzung für die Lehrvertragsgenehmigung.

Wie sieht es im Detailhandel aus?

KS: Der Druck hat zugenommen. Aber das stelle ich in allen Branchen fest, nicht nur in der Bäckerei-Confiserie. Wie ich bereits gesagt habe, ist es wichtig, den interessierten Jugendlichen nicht nur die Sonnenseiten zu zeigen, sondern beispielsweise auch, dass an den Samstagen gearbeitet werden muss.

Karin Schönfeld, Ausbildungsberaterin Kaufleute und Detailhandel (KV-DH)

Lehre als Detailhandelsangestellte (Branche Lebensmittel), eidg. dipl. Kauffrau des Detailhandels (HFP), Ausbildnerin mit eidg. Fachausweis (Referentin Berufsbildnerkurse), Berufsbildungsfachfrau mit eidg. Fachausweis

Sie sagten, es sei professioneller geworden. Können Sie uns Beispiele nennen?

KS: Mit der Reorganisation Verkauf 2022+ hat sich vieles geändert. Es ist natürlich auch aufwändiger geworden. Man kann die Begleitung der Lernenden nicht einfach nur nebenbei erledigen. Es zwingt den Berufsbildner und die Berufsbildnerin, sich mit der neuen Grundbildung auseinanderzusetzen. Sonst funktioniert es nicht.

Auch in der Bäckerei-Confiserie-Branche hat der Wechsel in die digitale Welt stattgefunden …

AH: … die Bäckerei-Confiserie war eine der ersten Branchen, die eine digitale Learndoc eingeführt hat, was ausgezeichnet funktioniert hat. Nun herrscht für alle Seiten Transparenz. Das ist ein Riesenvorteil. Wenn ich sage, moderner werden, dann heisst das beispielsweise, dass die Lernenden ihre Rezepte nicht mehr unbedingt selbst schreiben müssen. Die Dokumente sind klar und präzis. Das QV ist modern. Das ist professioneller geworden.

Ist im Verkauf ist die Situation ebenfalls positiv?

KS: Ja, hier wird viel für die Lernenden getan. Die Branche ist ausgezeichnet aufgestellt. Im Detailhandel gehen die Lernenden in die Richemont Fachschule in die üK.

Sie haben die Unterstützung angesprochen. Wo können Ausbildungsbetriebe diese holen?

AH: Im Kanton Bern sicher bei uns. Wenn jemand neu mit Lernenden starten möchte, stehen wir diesen Personen unterstützend zur Verfügung. Zudem können die Berufsbildner/innen jederzeit in der üK um Auskunft bitten. Die Lehrpersonen an den Berufsfachschulen stehen mit Tipps und Tricks unterstützend zur Seite. Zudem sind die Unterlagen sehr gut. Es gibt Weiterbildungsveranstaltungen. Diese werden von den Verantwortlichen Produktion und Detailhandel gemeinsam durchgeführt. Das gibt es im Kanton Bern meines Wissens in keiner anderen Branche.

Adrian Hängärtner, Ausbildungsberater, Dienstleistungen, Gesundheit und Soziales (DGS)

Lehre als Bäcker-Konditor, Berufsprüfung und höhere Fachprüfung als Bäcker, Berufsbildungsfachmann mit eidg. Fachausweis, Referent Berufsbildnerkurse

Sie haben auf Ihrer Webseite einen «Chummerchaschte». Welches sind die Hauptsorgen?

AH: Die Arbeitszeiten, die ausserhalb des gesetzlichen Rahmens sind. Die Überstunden, die nicht kompensiert werden können. Die Sechs-Tage-Woche, kurzfristige Wechsel in der Einsatzplanung, der Umgangston – das sind die wichtigsten Punkte.

KS: Meistens kommt es wellenmässig: Vor den Ferien oder vor den QVs. Fragen zu den Stützkursen, Freitagen oder rechtliche Fragen.

Welches sind Ihre nächsten Schritte, wenn eine solche Anfrage oder Meldung bei Ihnen eintrifft?

KS: Wir tragen zwei Hüte: Einen Beratungs- und einen Aufsichtshut. In erster Linie sind wir beratend tätig. Wir nehmen eine neutrale Position ein und empfehlen in der Regel, zuerst mit der Berufsbildnerin oder dem Berufsbildner Kontakt aufzunehmen oder mit dem nächsten Vorgesetzten.

AH: Wenn nötig organisieren wir einen runden Tisch und suchen nach Lösungen. Wir entscheiden nicht, sondern moderieren das Gespräch.

KS: Ja, wir haben keine Richterfunktion. Manchmal gibt es Sachverhalte, die wir klären müssen. Oft heisst es: «Ich habe doch Anrecht darauf …» oder «Mein Kollege darf das …» Da gibt es Situationen, wo wir sagen müssen: Bei ihm im Betrieb ist es vielleicht so. Aber juristisch Anrecht darauf haben Sie nicht.

Welche Erfahrungen machen Sie?

AH: Werden wir frühzeitig eingeschaltet, finden wir in der Regel gute Lösungen. Dann können wir die Sache begleiten und steuern und finden vielfach einen Konsens. Werden wir jedoch zu spät einbezogen, dann bleibt oftmals nur noch die Vertragsauflösung, weil zu viel Geschirr verschlagen worden ist.

Wie beurteilen Sie die Situation in unserer Branche?

AH: Wir sind in verschiedenen Branchen tätig. Die Bäckerei-Confiserie im Kanton Bern ist ein starker Verband, der von den Mitgliedern getragen wird. Das ist sehr erfreulich! Doch das ist nicht in allen Berufsfeldern so.

KS: Ich kann dies im Detailhandel ebenfalls bestätigen. Hier gibt es den grossen Dachverband BDS (Bildung Detailhandel Schweiz). Die Bäckerei-Confiserie ist einer der wenigen Verbände, wo sehr eng mit den Mitgliedern gearbeitet wird. Dies spürt man stark.

AH: Wir erwähnen die Bäckerei-Confiserie oftmals auch als Beispiel: Die üK-Finanzierung der Bäcker-Confiseur/innen in Bern-Solothurn ist ein Bijou in der ganzen Bildungslandschaft. Der Verband verfügt über einen Fonds für die Ausbildung und finanziert so die üKs. Der Betrieb kriegt nicht mal eine Rechnung. Der Verband kommt für die Kosten der Learndoc auf. In anderen Verbänden übernehmen die Lernenden die Kosten.

KS: Für mich sind die SwissSkills bezeichnend. Die vielen Lehrbetriebe, die sich stark engagieren und die Lernenden unterstützen. Ich möchte hier die grosse Unterstützung durch die Richemont Fachschule und Andrea Wehren erwähnen.

Interview: Claudia Vernocchi


Ausbildungsberatende

Die Ausbildungsberatung des Mittelschul- und Berufsbildungsamtes des Kantons Bern unterstützen und beraten neutral und kostenlos Lehrbetriebe, Lernende, Eltern, Berufsfachschulen, Organisation der Arbeitswelt (OdA) sowie weitere Personen und Institutionen in Fragen rund um die berufliche Grundbildung. Im Kanton Bern sind insgesamt 36 Fachleute, davon 17 Ausbildungsberatende im Einsatz.  

Weitere Informationen: be.ch/abb

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