In diesen Tagen starten zahlreiche Jugendliche schweizweit mit ihrer Lehre. Ein wichtiger Schritt in die berufliche Zukunft, der von allen Beteiligten wohl vorbereitet werden sollte. Was braucht es, damit die Lehre erfolgreich ist? «panissimo» unterhielt sich mit der Drittlehrjahr-Lernenden Noemi Micotti und dem stellvertretenden Direktor der renommierten Tessiner Confiserie Al Porto Paolo Loraschi.

Noemi Micotti ist Interview-erprobt. Sie hat unter anderem für die SwissSkills 2019 Video-Interviews gegeben. Ihr QV wird die begabte Nachwuchsfrau im August absolvieren, denn im Tessin finden die Prüfungen immer etwas später als im Rest der Schweiz statt. Sie blickt zuversichtlich auf die bevorstehenden Prüfungstage. Die Tessinerin wohnt im hintersten Teil der Valle Maggia, im malerischen Dorf Sornico Prato. Ihre Mutter fährt sie täglich frühmorgens mit dem Auto zur Arbeit, die um 4.30 Uhr beginnt. Dauer der Fahrt: 45 Minuten.

Weshalb haben Sie sich vor drei Jahren für diesen Beruf entschieden?
Noemi Micotti: Dieser Beruf war nicht meine erste Wahl. Da ich Süsses, die Pasticcini (kleine Patisserie) sehr liebe, mich die Welt der Schokolade interessiert und ich das präzise Arbeiten mag, habe ich zwei/drei Stages gemacht.

Welches war der Beruf Ihrer ersten Wahl?
Micotti: Ich wollte Kindergärtnerin werden. Aber ich muss gestehen, dass ich das Lernen und das Stillsitzen nicht besonders mag. Deshalb habe ich mich für diesen Beruf entschieden.

«Der erste Eindruck ist wegweisend.»
Paolo Loraschi
Was war entscheidend für Ihre definitive Berufswahl?
Micotti: Mich haben die Stages überzeugt, die Arbeit mit Rohstoffen. Ich erinnere mich, dass Sie (Paolo Loraschi) mir gezeigt haben, was man mit Himbeeren machen kann.

Paolo Loraschi: Der erste Eindruck ist wegweisend, um das Bild unseres Berufes klar wiederzugeben. Während des Praktikums müssen die jungen Menschen in kurzer Zeit die vielen Facetten dieses schönen Berufes kennenlernen. Es ist wichtig, ihnen zu vermitteln, dass es Zeit, Hingabe und Leidenschaft braucht, um eine Torte zu kreieren.

Wie haben Sie die Anfänge Ihrer Lehre erlebt?
Micotti: Am Anfang habe ich mir etwas Sorgen gemacht. Denn ich hatte weniger angenehme Arbeiten zu verrichten Doch nach rund zwei Monaten war ich eingearbeitet und meine anfänglichen Zweifel waren weg. Ich stehe immer gerne auf und fahre gerne zur Arbeit.

Ich liebe meinen Beruf!
Noemi Micotti
Für Ihr Hobby, das Eiskunstlaufen, sind die Arbeitszeiten ideal …
Micotti: … ja, ich beginne um 4.30 Uhr mit der Arbeit und um 13.40 Uhr ist sie beendet. Für mich sind diese Arbeitszeiten praktisch.

Loraschi: Für uns Ausbildner ist es in der Regel viel einfacher, mit einem Schüler zu arbeiten, der in einem Verein engagiert ist – sei es Musik oder Sport. Dort gibt es klare Regeln, die befolgt werden müssen. Diese Erfahrung brachte Noemi neben ihren guten schulischen und handwerklichen Fähigkeiten mit in die Lehre.
Wenn Sie die Fähigkeit und den Willen haben, können Sie das Ziel erreichen. Das Motto unserer Auszubildenden hier bei Al Porto lautet: «Spass bei der Arbeit haben». Das Gleichgewicht, das Noemi zwischen ihrem Beruf und ihrem Hobby geschaffen hat, erwies sich als ein ausgezeichnetes Rezept: Alle Zutaten sind gut vermischt.

Wie haben Sie, Noemi Micotti, die Berufsschule erlebt?
Micotti: Ich mochte es, zur Schule zu gehen. Die Berufsschullehrer sind sehr nett und sehr hilfsbereit. Wir lernten die Theorie und verstanden so unsere Tätigkeit im Lehrbetrieb besser.

… in der Confiserie


Wie erleben Sie jeweils den Start der Lernenden, Paolo Loraschi?
Loraschi: Ich kümmere mich persönlich um das Selektionsverfahren. Die Praktika organisiere ich im Rahmen der «Design Your Future»-Kampagne. Diese beginnt im Januar und endet Anfang April. Etwa 25 bis 30 junge Menschen bewerben sich bei uns. Es ist klar, dass nicht alle Teilnehmenden diesen Beruf als ihre Zukunft wählen, aber ich habe jedes Jahr immer rund 15 Jugendliche, die fest entschlossen sind, diesen Beruf zu ergreifen.

Wie gehen Sie bei der Selektion vor?
Loraschi: Ich organisiere zwei Selektionen: Bei der ersten lade ich alle interessierten Jugendlichen ein. Ich kontrolliere Schulnoten und Absenzen, wobei das Schulniveau für mich nicht entscheidend ist. Wichtig ist, auf die manuellen Fähigkeiten zu achten sowie den Charakter des Kandidaten und der Kandidatin so gut wie möglich kennenzulernen.

Etwa 50 % der Kandidierenden durchlaufen das zweite Auswahlverfahren. Sie müssen Tests in Rechnen, Design, Zeichnen, Linguistik und Logik ablegen. Es ist immer eine grosse Verantwortung. Eine Herausforderung, wo ich den neuen Lernenden beibringen muss, wie sie sich während ihrer Ausbildung zurechtfinden. Die Erwachsenenwelt ist anders, die Sprache ändert sich, es ist ein wichtiger Schritt ins Berufsleben. Bei all dem bin ich nicht allein, mein Team bestehend aus verschiedenen Ausbildnern hilft mir, dies alles zu bewältigen.

Die Familie übernimmt eine wichtige Aufgabe. Wird diese bei der Selektion ebenfalls berücksichtigt?
Loraschi: Während den drei ersten Lehrmonaten – der Probezeit – treffen wir uns mit den Eltern der Lernenden einmal pro Monat. Ich will erfahren, was der Lernende zu Hause erzählt, wie er die ersten Monate erlebt, ob er gut schläft, isst usw. Danach findet das Treffen jeweils am Ende eines Semesters statt.

«Ich stelle nicht nur einen Lernenden ein, sondern die ganze Familie.»
Paolo Loraschi
Der frühe Arbeitsbeginn verlangt oft auch von den Eltern ein Engagement. Öffentliche Verkehrsmittel verkehren um diese Zeit nicht, so dass ein Elternteil den Jugendlichen zur Arbeit fahren muss. Ich stelle nicht nur einen Lernenden ein, sondern die ganze Familie, auch Eltern und Geschwister. Denn das Klingeln des Weckers um diese frühe Uhrzeit betrifft alle.

Wann müssen Sie aufstehen, um rechtzeitig am Arbeitsplatz zu sein?
Micotti: Um 2.30 Uhr.

Was braucht es, damit sich ein Lernender wohlfühlt?
Micotti: Die Lernenden sollen sich nicht als Tellerwäscher benutzt /ausgenutzt /eingesetzt werden. Es ist zwar richtig, dass sich Lernende auch um die Reinigung kümmern müssen, aber es ist wichtig, dass sie ihren Beruf erlernen.

«In meiner kurzen Erfahrungszeit habe ich festgestellt, dass es sich lohnt, in einer friedlichen Arbeitsumgebung zu arbeiten, in der man sich wohl fühlt … »
Noemi Micotti
Zudem sollte es auch nicht so sein, dass man seine Lehre an einem Ort macht, an dem die Atmosphäre schlecht ist. In meiner kurzen Erfahrungszeit habe ich festgestellt, dass es sich lohnt, in einer friedlichen Arbeitsumgebung zu arbeiten, in der man sich wohl fühlt …

Loraschi: Ich stimme Noemi zu. Wir sind allerdings auch so organisiert, dass wir über Personal verfügen, das sich um den Abwasch und die Reinigung kümmert. Die Reinigung macht etwa 10 % der Arbeit eines Lernenden aus, so wie auch bei den andern Confiseuren.
Wenn die Auszubildenden von Anfang an gut betreut werden, können sie bereits am Ende des ersten Lehrjahres mit ihren erworbenen Fähigkeiten zum Erfolg des Unternehmens beitragen. Ein Lernender ist nicht nur eine Nummer. Die Aufgaben, die ich zum Beispiel Noemi gebe, sind solche, die ein ausgebildeter Mitarbeitender erledigen kann. Wir haben das Projekt namens «settore sfoglia» (Blätter­teigbereich). Dieses wird ausschliesslich von Auszubildenden betrieben. Selbstverständlich übernehmen sie unter unserer Aufsicht mehr Verantwortung als üblich. Unsere Erfahrungen mit diesem Projekt sind hervorragend. Sie gewinnen damit Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen, Befriedigung und ein Gefühl der Verantwortung.

Micotti: Durch dieses Projekt lernen wir dank der Praxis, was es bedeutet, die tägliche Organisation eines spezifischen Bereichs sicherzustellen, der aus verschiedenen Produktqualitäten besteht. Am Ende des Tages weiss ich, was ich getan habe und was ich selbst tun kann – eine grosse Befriedigung. Der Unterschied zwischen dem Projekt «settore sfoglia» und dem Alltag in einer Abteilung, in der uns ein ausgebildeter Confiseur sagt, was es zu produzieren gibt, in welchen Mengen usw., ist offensichtlich.

Was sind neben dem Tellerwäscher-Status die weiteren Nogos?
Micotti: Ich sage jeweils, was ich denke. Ich wurde während meiner Lehrzeit immer respektvoll behandelt. Aber es ist schon geschehen, dass ich einen anderen Lernenden in Schutz nahm, weil dieser immer wieder Dinge holen und bringen musste.

Loraschi: Ein respektvoller Umgang verlangt auch ein respektvolles Verhalten. Es sind junge Menschen, die gerade aus der Schule gekommen sind und sich oftmals in einer reinen Erwachsenenwelt bewegen müssen. Wir können Lernende mit hochwertigen Musikinstrumenten vergleichen, die, um den besten Klang zu erzeugen, eine besondere Aufmerksamkeit benötigen, wie das optimale Stimmen eines Instruments.

«Wir können Lernende mit hochwertigen Musikinstrumenten vergleichen, die, um den besten Klang zu erzeugen, eine besondere Aufmerksamkeit benötigen, wie das optimale Stimmen eines Instruments.»
Paolo Loraschi


Wie werden die schulischen Leistungen beaufsichtigt?
Noemie Micotti: Wenn wir in der Schule einen Test haben, muss dieser und das Ergebnis immer dem Chef übergeben werden. Außerdem muss am Ende der Schulwoche eine E-Mail verschickt werden, in der vermerkt wird, was wir in der Schule gemacht haben.

Paolo Loraschi: Wir hatten einen Lernenden, der in der Schule auf einmal einen Leistungsabfall verzeichnete. Ich fragte ihn nach der Ursache. Wir besprachen das weitere Vorgehen. Ich setzte ihn mit einer Lernenden zusammen, die in diesem Bereich gute Noten aufweist. Diese Massnahme war erfolgreich. Der Lernende konnte seine Note von einer Dreieinhalb auf eine Fünfeinhalb verbessern. Ich gab ihm die Zeit, um zu verstehen und aufzuholen. Sicher haben wir nicht immer solch schnelle Erfolge. Es braucht auch das Engagement der Lernenden. Aber: Das Problem muss sofort angepackt werden. Man darf nicht zuwarten.

Was raten Sie einem Schüler oder einer Schülerin, die sich überlegt diesen Beruf zu erlernen?
Noemie Micotti: Vielen sage ich, man muss zwar früh aufstehen, aber es ist ein wunderbarer Beruf! Der Jugendliche sollte zuerst alle Vor- und Nachteile auf ein Blatt Papier schreiben. Wenn das Negative überwiegt, lass es bleiben.

Und nun stehen die Prüfungen an (Im Tessin sind die Prüfungen erst ab August). Was machen Sie nachher?
Noemie Micotti: Schwierig… Ich habe viele Ideen, aber ich weiss noch nicht genau, was ich tun werde.

Welche Ideen haben Sie?
Micotti: Ich würde gerne an Wettbewerben teilnehmen. Und vor allem in Frankreich arbeiten.

Die SwissSkills?
Micotti: (lacht) Das ist sicher eine Überlegung wert.

Gibt es noch etwas, das Sie unseren Leserinnen und Lesern mitteilen möchten?
Paolo Loraschi: Unsere Berufe sind zwar vom Handwerk geprägt, aber wir sind nicht stehen geblieben. Wir gehen mit der Zeit und setzen auch entsprechende Techniken und moderne Instrumente und Apparaturen ein, in der Schule wie auch in der Praxis.

Es ist das, was wir bereits zu wissen glauben, was uns davon abhält, Neues zu lernen.
Paolo Loraschi:
Achtet darauf, den für euch richtigen Lehrbetrieb zu wählen und schaut nicht auf die Kilometer-Distanz zu eurem Wohnort. Investiert in eure Zukunft, in den Betrieb, der euch dabei unterstützen kann, optimale Ergebnisse zu erzielen. Und denkt daran, dass es das ist, was wir bereits zu wissen glauben, was uns davon abhält, Neues zu lernen.

Noemie Micotti kurz befragt
Vorname + Name: Noemie Micotti

Alter: 17-jährig

Lehre: Konditorin-Confiseurin, 3. Lehrjahr (QV August 2021)

Wohnort: Sornico Prato (TI)

Liebste Arbeit:
Die Arbeit in der Confiserie, wo es um Milimeter geht – weil ich sehr exakt bin. Vor allem das Dekorieren der Pralinés gefällt mir. Confiserie – perché sono molto precisa.

Liebstes Produkt
Ich schätze alles aus der Konditorei, vor allem aber Produkte mit einer ausgewogenen Balance zwischen fruchtigem Geschmack und unterschiedlichen Strukturen, bei denen verschiedene Sinneseindrücke während der Degustation hervorgerufen werden.

Hobbies:
Eiskunstlaufen, bis vor kurzem trainierte ich 3 x die Woche.

Lieblingssong: Semplice, Irama

Auf eine einsame Insel würde ich diese drei «Dinge» mitnehmen…
Schlittschuhe auf einer nördlichen Insel, einen Behälter mit Capri-Sun-Multivitaminsäften 😉 , meinen kleinen Bruder Ale

Süss oder gesalzen?
Süss

Meer oder Berge?
Berge

Stadt oder Land?
Stadt

Portrait mit Video
connect.swiss-skills.ch (2019, italienisch)

Al Porto
Die Confiserie Al Porto wurde 1963 gegründet und hat ihren Hauptsitz in Tenero. Das Unternehmen verfügt über sieben Verkaufsstellen, zwei Cafés und ein Restaurant und beschäftigt derzeit 126 Mitarbeitende: eine Lernende im Detailhandel, sieben Auszubildende in der Konditorei-Confiserie (zwei im 3. Lehrjahr, drei im 2. Lehrjahr und zwei im 1. Lehrjahr). Drei neue Lernende werden im August ihre Ausbildung beginnen. „Wir haben ein optimales Team!» (abbiamo un ottima squadra), freut sich Paolo Loraschi.
www.alporto.ch

Paolo Loraschi

«panissimo» hat Paolo Loraschi gebeten, sich den Leserinnen und Lesern kurz vorzustellen: «Es ist eine große Genugtuung und ein gewisser Stolz, seit mehr als 30 Jahren Teil dieses Unternehmens zu sein. Dank der umsichtigen Führung durch die Direktion unter der Leitung von Anton Froschauer konnten wir schwierige Zeiten überwinden und anschließend große Zufriedenheit erreichen. Ich habe die Position des stellvertretenden Direktors und des Produktionsleiters inne. Für mich ist die Ausbildung junger Menschen entscheidend, sie ist das schlagende Herz eines

Unternehmens, das in die Ausbildung investiert, um anschließend gute Nachwuchskräfte in die Arbeitswelt einzuführen. Abschließend möchte ich mit Ihnen dieses schöne Zitat teilen, das die treibende Kraft hinter der Luciano Mignami Stiftung ist:

«Es ist gut, ein Ziel zu haben, auf das man zusteuert, aber was letztendlich zählt, ist die Reise.»
(Ursola K. Le Guin)

Das könnte Sie auch interessieren

Start Nachwuchskampagne – machen Sie mit!