Gabriela Jetzer und Reinhold Messmer führen die Bäckerei Jetzer in Basel seit 2010. Seit knapp zwei Jahren sind sie Partner von Too Good To Go. Reinhold Messmer zeigt «panissimo» die Vor- und Nachteile der Aktion gegen Food Waste auf.

2010 übernahm die dritte Generation, Gabriela Jetzer und Reinhold Messmer, die Bäckerei Jetzer in Basel. Reinhold Messmer, welcher jahrelang in der Informatikbranche tätig war, ist nun für den Verkauf zuständig. «Es hat mich Überwindung gekostet, die Branche zu wechseln», gibt der Quereinsteiger zu. Gabriela Jetzer hat nach dem abgeschlossenen Wirtschaftsstudium eine verkürzte Bäcker-Konditor-Ausbildung absolviert und leitet nun die Produktion.

Zuvor war ihr Vater Willy Jetzer Produktionsleiter und Herz des Betriebs. Nach einer Vorbereitungszeit und einjährigen Übergangsphase übergab er die Zügel an seine Tochter und ihren Ehemann Reinhold Messmer und mischte sich nicht mehr in Geschäftsentscheide ein. «Er hatte die Grösse, uns die Entscheidungen zu überlassen», unterstreicht Messmer und ergänzt: «Wir waren uns zwar nicht immer einig, aber ich bin der Meinung, dass jede Generation einen eigenen zeitgemässen Weg der Betriebsführung finden muss, um erfolgreich zu sein.»

Partnerin von Too Good To Go

Seit zwei Jahren ist die Bäckerei Jetzer Partnerin von Too Good To Go. Reinhold Messmer erhielt eine Anfrage vom Unternehmen und sagte zu. «Bis zu diesem Zeitpunkt haben wir alle Retouren an den Verein Soup & Chill – eine Gassenküche für randständige Menschen – abgegeben», erzählt er.

«Ich bin der Meinung, dass jede Generation einen eigenen zeitgemässen Weg der Betriebs­führung finden muss, um erfolgreich zu sein.»
Der Warenwert in einem Überraschungspäckli entspricht 21 CHF. Verkauft wird es für 6.90 CHF und zum Schluss bleiben 5 CHF. Pro Tag rechnet Messmer mit etwa 10 % Retouren und drei Überraschungspäckli pro Verkaufsladen.
«Bei Patisserie vermerken wir zudem, dass eine Tupperware mitgebracht werden soll oder für 1 CHF eine Verpackung bezogen werden kann», erklärt der Branchenmann und fügt hinzu: «Tragtaschen geben wir kostenlos ab; weisen die Kundinnen und Kunden aber darauf hin, beim nächsten Mal eine mitzubringen.»

Variable Menge an Überraschungspäckli

«Welches sind die Vor- und Nachteile einer Partnerschaft mit Too Good To Go?», wollte «panissimo» von Reinhold Messmer wissen. «Der Vorteil ist, dass wir mit der Anzahl Überraschungspäckli variieren können – je nach Retouren wird die Menge hoch- oder runtergefahren.» Spätestens um 16 Uhr werde überprüft, ob noch genug Waren vorhanden sind. Falls nicht, müssen in der App von Too Good To Go Päckli storniert werden. «Ausserdem nehmen wir durch diesen Verkauf etwa 1500 CHF pro Monat ein. Zuvor haben wir alle Retouren kostenlos weitergegeben», ergänzt er. Ein weiterer Vorteil sei, dass die Bäckerei Jetzer dadurch neue Kundschaft dazugewonnen habe.

«Wir achten darauf, Rohstoffe von regionalen Produzenten zu verwenden, um beim Transport einen kleinen Fussabdruck zu hinterlassen.»
Der Nachteil sei, dass es Kundinnen und Kunden gibt, die aus­suchen wollen, was in ihr Über­raschungspäckli kommt. «Wir verkaufen unsere Produkte bis zum Ladenschluss an ‹Normalkunden›. Da kann es nicht sein, dass diese warten müssen, bis ein Too-Good-To-Go-Kunde, welcher nicht den vollen Preis dafür bezahlt, seine Wunsch-Backwaren in aller Ruhe ausgesucht hat», zeigt der Geschäftsführer auf. Deshalb werden die Überraschungspäckli durch den Verkauf in Eigenregie zusammengestellt – es könne nur noch zwischen vegetarisch oder mit Fleisch ausgewählt werden.

Nachhaltig handeln und trotzdem wirtschaftlich bleiben

«Nachhaltigkeit fängt für mich bereits in der Produktion an. Wir achten darauf, Rohstoffe von regionalen Produzenten zu verwenden, um beim Transport einen kleinen Fussabdruck zu hinterlassen», erklärt Reinhold Messmer. Beim Ersatz der bestehenden Diesel-Fahrzeugflotte wolle er ausserdem auf Elektro-Lieferfahrzeuge umsatteln, denn beim Hauptgeschäft habe er bereits eine Ladestation mit nachhaltig hergestelltem Wasser-Strom. «Und wo möglich verwenden wir kompostierbare Verpackung.» Aber es sei ein Teufelskreis: «Auf der einen Seite will man nachhaltig handeln und auf der anderen soll der Betrieb wirtschaftlich bleiben», erläutert der Basler Berufsmann.

Der Erklärungsbedarf ist hoch

Das Erfüllen von Kundenwünschen um beinahe jeden Preis erfordert nach Reinhold Messmer Flexibilität, ist aber nicht nachhaltig. «Da nebenan eine Coop-Filiale ist, müssen wir Präsenz zeigen und ebenfalls bis Ladenschluss Brot im Regal haben. Unsere Devise lautet: Bei Jetzer hat es zu jeder Tageszeit eine schöne Auswahl an Broten und Backwaren.»

Auch habe sich das Verhalten der Kundinnen und Kunden in den letzten Jahren verändert: «Früher wurden grössere Mengen vorbestellt. Heute kommen die Leute spontan in den Laden, um dieselbe Menge abzuholen. Auch hier ist Flexibilität gefordert mit spontaner Nachproduktion von Backwaren. Dies ist nicht wirklich effizient in der Produktion, geschweige denn nachhaltig.»

Seiner Meinung nach sind die Konsumentinnen und Konsumenten noch nicht bereit, sich erziehen zu lassen, denn: «Der Erklärungs­bedarf ist zu hoch.» Ausserdem sei es nicht wirtschaftlich, ab 14 Uhr Restposten zu verkaufen – und auch das Kundenerlebnis fehle.

Rückblick auf die Zeit seit der Übergabe

2010: Übernahme des Betriebs durch die dritte Generation, Gabriela Jetzer und Reinhold Messmer
2011: Grossumbau und Modernisierung der Backstube
Ende 2011: Aufgabe der Filiale Ackerstrasse
2015: Renovation der Küche, Logistik, Erweiterung der Geschäftsbereiche am Hauptsitz, Anschaffung eines Bäckerei-Verkaufsmobils
2017: Umbau und Erweiterung der Filiale Breite in ein Bäckerei-Gastrokonzept mit Offenküche und Einführung des 7-Tage-Betriebes
2018: Start des Event-Geschäftszweigs flotteflotte mit Verkaufs- und Kaffeemobil Piaggio, Häussler-Holzofen
2019: Komplettumbau des Verkaufsladens im Hauptgeschäft an der Dornacherstrasse
2020: Webpage, Webshop, Facebook, Instagram
jetzerbegg.ch

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