Der Einkaufstourismus in der Schweiz wurde 2017 vom Forschungszentrum für Handelsmanagement an der Universität St. Gallen untersucht. 2015 wurde die erste Studie durchgeführt. Was hat sich verändert? Wie sieht es in unserer Branche aus? «panissimo» unterhielt sich mit dem Autor Professor Thomas Rudolph.

Sie haben 2015 und 2017 in einer Studie den Einkaufstourismus für fünf Schweizer Detailhandelsbranchen (Lebensmittel, Drogerie, Bekleidung, Sport und Einrichtung) untersucht und festgestellt, dass der Verlust für die Schweiz in den letzten zwei Jahren um fast 10 % gewachsen ist, dies trotz Abwertung des Frankens im letzten Quartal 2017. Der Preis ist nur eine Ursache für den Einkaufstourismus. In Ihrer neusten Studie nennen Sie weitere, welche?

Der E-Commerce spielt heute eine wichtige Rolle. Besonders betroffen sind die Textil- und Sportartikelbranche sowie diejenige der Unterhaltungselektronik. Über 25 % der Einkäufe werden dort bereits online getätigt. Die internationale Konkurrenz auf dem Online-Markt ist stärker geworden. Bestellungen in China, beispielsweise über Ali-Express, haben deutlich zugenommen. Im Lebensmittelhandel spielt E-Commerce fast keine Rolle. Im Vergleich zu 2015 ist die Gruppe der Einkaufstouristen zwar kleiner geworden, doch die verbliebenen kaufen mehr in Grenznähe ein.

Wie sieht die Situation in der Branche der Bäckerei-Confiserie aus?

Die Situation ist zweigeteilt. Da ist das Interesse der Konsumentinnen und Konsumenten, qualitativ hochwertige lokale Lebensmittel zu einem angemessenen Preis zu kaufen. Beispielsweise laufen die qualitativen Labelprogramme bei den Grossverteilern, wo ein Mehrwert erkennbar ist, recht gut.

Qualität hat durchaus eine Berechtigung und findet auch eine Nachfrage in der Schweiz, aber sie muss wahrnehmbar sein und den Mehrwert muss man schmecken.

Der Preisdruck bei Standardartikeln ist jedoch im Vergleich zu 2015 weiter gestiegen. Die hohen Aktionsanteile drücken natürlich auf die Marge und damit auf die Ertragskraft des Schweizer Detailhandels.

Was erwartet Ihrer Ansicht nach unsere Branche im Zusammenhang mit dem Online-Geschäft?

Der Druck, der vom Internet kommt, ist sehr überschaubar, sehr klein. Die Frage stellt sich: Bleibt es so? Der Online-Anteil bei den Lebensmitteln in der Schweiz ist leicht gestiegen und beträgt knapp 2 % der Gesamtausgaben.

Also Entwarnung für unsere Branche?

Nein, ich würde trotzdem keine Entwarnung geben. Mass muss die Lage weiter beobachten. Es hat noch keiner das Format gefunden, um Lebensmittel erfolgreich zu vermarkten. Amazon fresh probiert es in Deutschland in verschiedenen Varianten seit rund zehn Jahren, aber wahrscheinlich noch nicht kostendeckend. Bofrost in Deutschland funktioniert mit tiefgekühlten Semmeln, Torten usw. ganz gut.

Ich empfehle Ihrer Branchen die Chancen des Internets zu nutzen. Ein Brötli- und Gipfeli-Abonnement wäre für einige Bäcker durchaus eine solche Möglichkeit: Kunden bestellen online und erhalten die Ware geliefert.

Auch beim Brot sehe ich Chancen. Ein Haushalt braucht fast täglich ein Brot. Ein Brot-Abo wäre mit Hilfe des Internets durchaus denkbar.

Ich persönlich wäre bereit, einem Bäcker für diesen Service mehr zu bezahlen. Ich empfehle, diese Entwicklung proaktiv anzugehen und dabei das Interesse des Konsumenten zu prüfen.

Beispielsweise im Tessin liefert die Post das Brot …

Ja, weshalb kein «Bäcker-Prime-Abonnement», ähnlich wie bei Amazon-Prime? So muss ich mein Brot nicht mehr abholen. Ich würde dies durchaus mal ausprobieren!

Sie verlangen in Ihrer Studie eine langfristige Strategie, um die Folgen des Einkaufstourismus für die Lebensmittelindustrie abzufangen. Welches sind die wichtigsten Punkte?

Die Fragen, wie ich mein Unternehmen im Markt positioniere und wie mein Leistungsversprechen lautet, sind zentral. Grundsätzlich bieten sich für Bäcker in der Schweiz zwei Möglichkeiten an. Erstens die Positionierung als Produktführer. Die Produkte sind qualitativ besser, mit lokalen Zutaten, lokalem Geschmack und nicht einfach aufgebacken.

Zweitens die Positionierung als Serviceführer. Dabei hebt sich der Betrieb mit den Serviceleistung von der Konkurrenz ab. Dazu gehören der Online-Bestellservice, die kompetente Beratung bis hin zum Guetzli-Backkurs. Der Service gewinnt mit Blick auf den Preiswettbewerb gegenüber dem Produkt an Wichtigkeit. Die Strategie der Preisführerschaft macht hingegen für den Fachbetrieb bei der heutigen Konkurrenz kaum noch Sinn.

Was kann die Politik gegen den Einkaufstourismus unternehmen?

Wir haben in unserer Studie festgestellt, dass die Politik durchaus etwas unternehmen könnte. Und das wäre die Absenkung der Mehrwertsteuer-Freigrenze. Sie liegt heute bei 300 Franken pro Person. Wir haben hier die Frage gestellt: Würdet Ihr weiterhin ins Ausland fahren, wenn man diese Freigrenze auf 50 Franken absenkt. Da haben etwa 35 % gesagt, wenn das kommen sollte, dann werden sie ihre Einkäufe im Ausland reduzieren oder ganz einschränken.

Was raten Sie unseren Betrieben in den grenznahen Gebieten?

Meine erste Empfehlung: Auf keinen Fall die Qualität absenken. Zweitens, versuchen Sie mit innovativen Sortimentsideen und auch beim Service, ihre Einzigartigkeit unter Beweis zu stellen. Somit haben wir auch über Auslieferungen gesprochen.

Aber was ist mit der Ausserhausverpflegung? Gibt es Möglichkeiten, diesem Trend noch mehr zu entsprechen? Es hängt vom Standort und damit vom Einzugsgebiet ab. Sicherlich haben neue Servicekonzepte eine Chance. Es braucht aber auf jeden Fall Freundlichkeit und Kompetenz. Das Personal ist extrem wichtig…

Den vollständigen Artikel finden Sie in der gedruckten Ausgabe Nr. 6/18 des «panissimo».

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