Nach drei Jahren Lehre hat es die Langnauerin Antonia Eichenberger geschafft: Sie hat als Beste ihrer Schule in Bern die Prüfung als Detailhandelsfachfrau bestanden. Rück- und Ausblick einer Lernenden und einer Berufsbildnerin.

«panissimo» unterhielt sich mit ihr und mit ihrer ehemaligen Berufsbildnerin Irene Muralt im Lehrbetrieb, der Bäckerei-Konditorei Muralt in Ostermundigen (BE). Welche Erinnerungen bleiben? Welches waren die Herausforderungen? Welche Tipps haben sie an künftige Lernende und deren Berufsbildner?

Keine Unbekannte

Antonia Eichenberger ist für die «panissimo»-Leserschaft keine Unbekannte. Sie hat während mehr als zwei Jahren einmal monatlich das «Tagebuch einer Lernenden» verfasst und uns so einen wertvollen Einblick in den Alltag einer angehenden Detailhandelsfachfrau gewährt. Ihre Berufsbildnerin Irene Muralt ist in der Branche ebenfalls keine Fremde. Sie wirkte zwölf Jahre lang in der Geschäftsleitung des Schweizerischen Bäcker-Confiseurmeister-Verbandes (SBC) mit und hat massgeblich zur Aufwertung des Detailhandels in den letzten Jahren beigetragen.

Stolz und etwas Wehmut

Eine strahlende Antonia Eichenberger empfängt die Kundinnen und Kunden an diesem Freitagvormittag hinter der Theke in der Bäckerei- Konditorei Muralt in Ostermundigen. Auf ihrem Namensschild steht Lernende und von Hand korrigiert «EX». Ja, sie sei glücklich und zufrieden und geniesse es nun, nach der Arbeit nicht mehr diesen permanenten innerlichen Lerndruck zu spüren. Auch ihre Berufsbildnerin Irene Muralt ist happy und stolz auf das, was ihre Lernende geleistet hat. Aber nicht nur … Denn nun heisst es schon bald Abschied nehmen.

«Wir hatten eine wirklich schöne Zeit!»

Kunden ein Lachen entlocken

Welche schönen Erinnerungen bleiben von der Lehrzeit? Der tägliche Kontakt mit den Kundinnen und Kunden, antwortet Antonia Eichenberger spontan, diese glücklich zu machen und ihnen beispielsweise mit einem Spruch ein Lachen zu entlocken. Jetzt, nach drei Jahren, sei die Beziehung zu den Stammkunden gefestigter, intensiver. Einige hätten im Vorfeld der Prüfungen mitgefi ebert. Jetzt ist ihr erfolgreicher Abschluss ein Thema.

Gespräch auf Augenhöhe

Irene Muralt und Antonia Eichenberger sprechen miteinander auf Augenhöhe, freundschaftlich-respektvoll. Die Aussage «es ist ein Geben und Nehmen», die während des Gesprächs ein paar Mal zu hören ist, wird gelebt. Für die erfahrene Geschäftsfrau Irene Muralt ist es klar, dass sie mit Antonia Eichenberger einen «Glückstreffer» hatte: Sie hat sich während dem Gymnasium entschieden die Ausbildung als Detailhandelsfachfrau in unserer Branche zu starten.
Sie war mit ihren damals 21 Jahren älter und reifer als gewöhnlich Lernende. Zudem nahm sie bereits einen grossen Rucksack an Branchenerfahrung mit, ist sie doch Tochter des Inhaber-Ehepaars Marion und Johann Eichenberger (Backmanufaktur Eichenberger in Langnau i. E.). «Das ist eine ganz andere Ausgangslage.
Eine Lernende, die unmittelbar nach der Schule die Lehre antritt, ist noch sehr jung und muss zu Beginn getragen werden, manchmal musst du gar die Ersatzmutter spielen, weil die Jugendlichen zum ersten Mal richtig von zu Hause weg sind. Auf einmal sind sie nur noch von Erwachsenen umgeben. Das ist eine grosse Umstellung», weiss Irene Muralt aus Erfahrung. Es ist in der Regel eine herausfordernde Lebensphase mit körperlichen und psychischen Veränderungen, wenn Jugendliche ihre Lehre antreten. Der Schritt in die Erwachsenenwelt ist gross, sie verlassen ihren Cocon.

«Zu Beginn braucht es ein Herantasten, so dass das gegenseitige Vertrauen wachsen kann.»

Eine Gratwanderung

«Ich war nicht einfach nur die Lernende. Es hiess nie «mach, hü, los!», betont Antonia Eichenberger. Gleichzeitig habe sie achtgeben müssen, so Irene Muralt, dass bei der angehenden Berufsfrau trotz grosser Selbstständigkeit das Lernen in der Praxis der entsprechende Platz hat und nicht zu kurz kommt. «Die Lernenden haben ein Recht darauf. Es ist eine Gratwanderung, ein Spagat, bei dem man mit viel Gespür vorgehen sollte.»

Vertrauen gewinnen

Es sei wichtig, auf den Rucksack, den ein Lernender mitbringt, zu achten. «Das merkt man bereits während der Schnupperlehre», unterstreicht Irene Muralt. Je nachdem kann dem Jugendlichen mehr Verantwortung übertragen werden, während man bei anderen abwarten muss. «Zu Beginn braucht es ein Herantasten, so dass das gegenseitige Vertrauen wachsen kann.»

Die grössten Herausforderungen der Lernenden

Welches war die grösste Herausforderung für Antonia Eichenberger während der Ausbildungszeit? «Die Warenkartei», lautete ihre spontane Antwort. «Ich habe mich zu sehr gestresst. Einen Monat vor der Prüfung hatte ich die Warenkartei noch nicht zusammen.» (siehe letzter Tagebucheintrag). Die Zeit von den Sommerferien bis zu den Prüfungen sei happig gewesen. Sie habe versucht, ihrer Lernenden Druck wegzunehmen, so Irene Muralt. Eines ist klar:wohl Ex-Gymnasiastin war Antonia Eichenberger während der Lehre nicht unterfordert. «Die Schuledarf nicht unterschätzt werden!»

Wechsel der Berufsbildnerin

Eine weitere Herausforderung war rund ein halbes Jahr nach Lehrstart. Die als Berufsbildnerin mitverantwortliche Mitarbeiterin hatte gekündigt. Plötzlich ist die Hauptbezugsperson weg. «Das war für mich ein grosser Einschnitt. Auf einmal hatte ich das Gefühl im luftleeren Raum zu stehen», erinnert sie sich. Irene Muralt, die kurz danach aus der SBC-Geschäftsleitung (Amtszeitbeschränkung) ausschied, übernahm wieder die Aufgabe als Berufsbildnerin und Bezugsperson. Deshalb der Tipp von Antonia Eichenberger:

Man darf sich während der Lehre nicht zu sehr auf eine Person konzentrieren! Wichtig ist, dass die Lernende im Team integriert ist.

Ein Strauss voller Ideen

Antonia Eichenberger war eine initiative und kreative Lernende. «Sie setzt sich mit dem Betrieb auseinander, brachte viele tolle Ideen ein. Ich wollte Antonia nicht bremsen, aber gleichzeitig gab es Vorschläge, deren Umsetzung beispielsweise aus finanziellen Gründen oder aufgrund der eingespielten Abläufe nicht möglich waren.» Irene Muralt musste jeweils die Inputs auf eine Waagschale legen und abwägen. «Ich wollte Antonia in ihrem Engagement und Elan nicht bremsen und nicht die Spielverderberin sein.» Einige Ideen wurden erfolgreich umgesetzt, so der Sommer-Fotowettbewerb im ersten Lehrjahr: Fotos der Gesichter der Mitarbeitenden und die Hände bei deren Tätigkeit wurden während den Sommer-Betriebsferien im Schaufenster des Verkaufsladens ausgestellt. Die Kundinnen und Kunden mussten herausfi nden, welche Hände zu welchem Gesicht und welcher Tätigkeit gehören. Oder der Zoo im Schaufenster, die Schoggi-Lollys, die Schoggi-Teechännlis.

Lieber 1000 Mal fragen

Was würde Antonia Eichenberger anders machen? Sie überlegt. «Vielleicht etwas schneller mitteilen, wenn ich überfordert bin oder Probleme habe. Irgendwann habe ich schon darüber geredet. Ich würde mich nicht so fest stressen, alles perfekt machen zu wollen. Schliesslich war ich die Lernende.» Deshalb ihren Tipp an die Lernenden: «Fragt lieber 1000 Mal, wenn ihr unsicher seid. Bleibt in der Schule dran, auch wenn ihr von der Obligatorischen die Nase voll habt. Vor und an der Prüfung seid ihr dankbar Bringt euch in eurem Lehrbetrieb ein!» Und ihren Wunsch an die Berufsbildner? Antonia Eichenberger überlegt. Die Lernenden ernst nehmen? «Das ist doch selbstverständlich», antwortet sie. «Seid offen für Veränderungen. Bringt Verständnis auf für die jungen Menschen. Sie sind nicht erwachsen, brauchen Geduld!» Irene Muralt pflichtet ihr bei. Die Zusammenarbeit mit Lernenden müsse als Chance betrachtenwerden. «Wenn man 20 Jahre lang den gleichen Betrieb führt, ist man ein bisschen eingespurt. Da tun frische Ideen gut!», weiss sie aus Erfahrung schmunzelnd.

Die Leidenschaft wecken

Ein wichtiges Anliegen ist ihr auch, dass Lernende nicht als billige Arbeitskräfte dienen dürfen, und sie mahnt ihre Kolleginnen und Kollegen: «Wir bilden junge Berufsleute aus. Die ganze Branche profitiert davon! Wir betreiben Imagearbeit.» Lernende wie Berufsbildnerin sind sich einig: Die Leidenschaft, die in einem brennt, muss man bei den Jungen künftigen Berufsleuten entfachen können. «Es gibt Lernende, die ohne grosse Freude starten, aber von der Leidenschaft im Betrieb angesteckt werden», hält Antonia Eichenberger fest.

«Ja, die Motivation muss in den Jungen geweckt werden, sie merken nicht, dass sie in ihnen schlummert.»

Was bleibt in Erinnerung?

«DasTeam. Wir hatten es immer gut. Haben viel gelacht. Jeder hatte ein offenes Ohr. Ich war nicht nur die kleine Lehrtochter.» Fortsetzung in Freiburg Jetzt kann Antonia Eichenberger die schul- und prüfungsfreie Zeit geniessen: «Nichts mehr denken, gar nichts – ausser Rechnungen bezahlen», meint sie mit einem Lächeln. Sie arbeitet noch bis Ende Juli in ihrem ehemaligen Lehrbetrieb. Dann nimmt sie einen Monat Ferien. Im September wird Antonia Eichenberger nochmals bei Muralts einen Einsatz leisten und sich unter anderem um die beiden neuen Lernenden im Detailhandel kümmern. Im Oktober startet sie bei der Boulangerie-Confiserie Saudan-Zurbuchen in Freiburg. Ja, und dann ist da noch die Wohnungssuche im Freiburgischen und die Züglete …

Und die Zukunft?

In mittelferner Zukunft visiert diejunge Detailhandelsfachfrau eine Weiterbildung als Berufsbildnerin und die Berufsprüfung an. Aber «das hat Zeit. Schritt für Schritt», betont sie zum Schluss ihres Gesprächs. Ein paar Minuten später steht sie wiederum hinter der Verkaufstheke, bedient freundlich und kompetent die Kundinnen und Kunden, bevor es mit dem Fotoshooting weitergeht.

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