Was mit einer Riesenenttäuschung startete, endete für Aegerter Beck in Wabern bei Bern am Gurtenfestival mit einem Happy End – dies dank einem fulminanten Medienhype.
Seit 1984 boten Barbara und Jakob Aegerter in der Nähe der Gurtenbahn-Talstation während den Festivaltagen ihre Produkte an. Sie durften in den letzten drei Jahren ihren Laden bereits um 2 Uhr öffnen (anstelle von 5 Uhr) – dem Zeitpunkt, an dem sich die Festivalgäste auf die Heimreise begeben.
Hiobsbotschaft
Das Gesuch um längere Öffnungszeiten wurde von den Behörden abgelehnt. Der SBC wehrte sich gemeinsam mit den Betriebsinhabern gegen den Entscheid und kämpfte für wirtschaftliche Rahmenbediingungen, welche die Existenz seiner Mitglieder fördern (siehe «panissimo» Nr. 13).
Knapp anderthalb Wochen vor dem Start des diesjährigen Gurtenfestivals (17. bis 20. Juli) auf dem Berner Hausberg erhielt das Ehepaar Barbara und Jakob Aegerter von behördlicher Seite die Hiobsbotschaft: Die Rechtsabteilung der Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern hatte dem einen Riegel geschoben. Die Begründung lautete unter anderem: «…dass das Interesse der Beschwerdeführerin rein finanzieller Natur sei, wobei nicht ersichtlich sei, inwiefern eine Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten um 16 Stunden auf das ganze Jahr gerechnet finanzielle Relevanz habe.» Der Umsatzverlust an den Festivaltagen wäre für die gewerbliche Bäckerei allerdings erheblich gewesen: Er hätte den gesamten Umsatz, der in einem Monat in den zwei Filialen in Schliern und Köniz erzielt wäre, umfasst. «Das sind viele Weggli», betonte das Inhaberehepaar. Allein am Sonntagmorgen werden jeweils zwischen 2 und 5 Uhr 850 Schinkengipfeli verkauft.
Nachtruhe am Gurtenfestival…
Als weitere Begründung wurde unter anderem die Einhaltung der primär zum Schutz der Nacht- und der Feiertagsruhe (während dem Gurtenfestival!) erlassenen regulären Ladenöffnungszeiten aufgeführt sowie die Besucherströme des Festivals genannt, die sich so rasch als möglich an die Haltestellen der Moonlinerbusse begeben und nicht zusätzlich bei der Bäckerei verweilen sollten.
Medienmitteilung verschickt
Der SBC entwarf für Aegerter Beck eine Medienmitteilung und sendete eine regionale Medienliste. Das Communiqué wurde von Aegerters am Dienstag, einen Tag vor Festivalstart, am Morgen um 10 Uhr verschickt. Von diesem Zeitpunkt an seien sie von den Medienschaffenden buchstäblich überrannt worden, erklärte Jakob Aegerter gegenüber «panissimo». TV, Radio, regionale Tageszeitungen sowie 20Minuten und der Blick berichteten darüber mit Schlagzeilen wie «Gipfeli-Gate» oder «Keine Schinkengipfeli mehr für Nachtschwärmer». Im Netz wimmelte es von unterstützenden Kommentaren. Zahlreiche Politiker meldeten sich zu Wort. Die FDP kaufte Backwaren und verteilte diese am Freitagnachmittag gratis an die Festivalbesucher in der Talstation.
Umschwenken der Behörden
Dieser Hype blieb nicht ohne Folgen. Am Freitag, kurz vor Mittag, erhielt das Ehepaar Aegerter dann doch noch das Go für den Verkauf ab 2 Uhr in der Früh. Die Freude war gross, aber auch der Zeitdruck. Denn es galt, zusätzliches Personal aufzubieten. Neben Mitarbeitenden kamen auch Familienangehörige zu Hilfe. Alle haben einen riesengrossen Effort geleistet. «Ich bin sehr stolz auf mein Team», erklärt Jakob Aegerter nach Ende des Festivals am Telefon. «panissimo» besuchte am besagten Freitagnachmittag die Bäckerei Aegerter. Während dieser Zeit betraten verschiedene Personen den Laden und beglückwünschten freudig das Ehepaar.
Ein müder, aber zufriedener Jakob Aegerter äusserte sich nach Festivalende gegenüber der Berner Zeitung und dem Regionalsender Telebärn. In den zwei verbleibenden Gurtenfestivaltagen wurden mehr als 2000 Schinkengipfelis verkauft.
Vorstoss gegen die Bürokratie
Aufgrund der Ereignisse bereiten die FDP und die Jungfreisinnigen des Kantons Bern übrigens einen dringlichen Vorstoss im Berner Kantonsparlament vor. Der Regierungsrat soll beauftragt werden, eine Vorschriftenänderung zu prüfen, um künftige solche «unbilligen Vorfälle» und Bürokratie zu vermeiden sowie Unternehmertum zu ermöglichen.