50 Jahre Stimm- und Wahlrecht für Frauen – am 5. Februar ist der Jahrestag dieses historischen Ereignisses. Im Gespräch mit «panissimo» blicken zwei Branchenfrauen aus unterschiedlichen Generationen zurück und in die Zukunft.

Was bedeutet es für Sie, abstimmen und wählen zu dürfen?
Jeanette Müller
: Ich bin glücklich und dankbar, in einem demokratischen Land geboren zu sein. Es bedeutet mir viel, mitentscheiden zu dürfen.
Ich habe zwei Generationenwechsel miterlebt. Mein Grossvater war ein Patriarch und meine Grossmutter für den Haushalt und die Kinder zuständig. Meine Eltern waren politisch interessiert und ich habe viele Veränderungen erfahren. Zum Beispiel durfte meine Mutter das Autofahren lernen.
Sidonia Signer: Bis anhin habe ich mir noch nie bewusst Gedanken darüber gemacht, was es bedeutet, als Frau Abstimmen und Wählen zu dürfen. Denn für mich / meine Generation ist es eine Selbstverständlichkeit, dass auch wir Frauen an die Urne gehen dürfen. Wir kennen es nicht anders.
Aber wenn ich mir mehr Gedanken darüber mache und mir auch bewusst wird, dass es heutzutage noch nicht in allen Ländern der Welt möglich ist, als Frau zu wählen, empfinde ich das Stimm- und Wahlrecht in der Schweiz als ein Privileg. Ich bin froh, dass auch wir Frauen einen bedeutenden Teil zu Entscheiden in der Schweiz beisteuern können, auch wenn die Frauenquote noch nicht bei 50 % ist.

Wie wäre es für Sie, dieses Recht zu verlieren?
J. M.
: Das ist unvorstellbar für mich. Und wenn ich jünger wäre, würde ich wohl demonstrieren gehen. Aber ich denke, heute müssen wir uns keine Sorgen mehr darüber machen.
Ich habe mit Kolleginnen und Kollegen zusammengearbeitet und keine grossen Unterschiede gespürt. Ich habe mich immer gewehrt und wusste bereits in der Schule, was ich wollte. Jede Person muss etwas dazu beisteuern. Es gibt wunderbare Beispiele von Menschen, die grosses erreicht haben.
S. S.: Das kann ich mir aus heutiger Sicht nur sehr schwer vorstellen. Denn wir Frauen sind im Berufsalltag ein fester und wichtiger Bestandteil und zunehmend auch immer mehr in Kaderpositionen zu finden, wo von uns allen eine ei­gene Meinung verlangt wird. Wie sollte das bitte schön funktionieren, dass wir im Berufsalltag unsere Meinung äussern sollen und Entscheide fällen, aber dennoch nicht Abstimmen und Wählen zu dürfen? Aus diesem Grund kann ich mir nicht vorstellen, wie es heute wäre, mein Stimm- und Wahlrecht zu verlieren.

Frau Signer, können Sie sich vorstellen, wie es für die Frauen war, nicht abstimmen und wählen zu dürfen?
S. S.
: Ich denke viele Frauen, welche vor allem Hausfrau und Mutter waren (eher ländliche Gegend), hätten früher gerne abgestimmt. Sie haben aber die Situation, wie sie war, akzeptiert. Hingegen die berufstätigen Frauen, welche eher aus städtischer Gegend stammten, haben aktiv für unser Recht gekämpft. Das war sicher alles andere als einfach, und sie mussten sich viel von den Männern anhören. Ich bin aber sehr froh, dass diese Frauen mit Erfolg für sich, die anderen Schweizer Frauen und vor allem für die nachkommenden Generationen gekämpft haben.

Frau Müller, wie haben Sie die Zeit vor dem 7. Februar 1971 erlebt?
J. M.:
Ich war 22 und frisch aus der Lehre. Ich kann mich gut an die Zeit erinnern – vor allem die Bilder von den Demos im Fernsehen sind mir geblieben. Judith Stamm und Emilie Lieberherr waren damals Vorkämpferinnen.

Haben Sie sich für das Frauenstimm- und Wahlrecht eingesetzt?
J. M.
: Das Thema war für mich damals nicht aktuell. Es wurde nicht darüber gesprochen und nur in den Nachrichten darüber informiert.

Erinnern Sie sich an den 7. Februar 1971? Wie haben Sie diesen Tag erlebt?
J. M.
: Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, nur an die Bilder. Das Aufatmen der ganzen Nation und der Frauen. Doch die Männer waren nach wie vor skeptisch.

Was hat sich seither geändert?
J. M.: Es hat sich sehr viel getan, aber es braucht noch mehr in der Arbeitswelt.
1977 sah ich ein Inserat in der Zeitung für die Stelle als «Chef-Dekorateur» bei Gübelin. Ich habe sofort zum Telefon gegriffen und bei Herrn Gübelin angefragt, ob Frauen auch eine Chance haben. Er meinte, ich solle mich bewerben. Ein halbes Jahr später erhielt ich die Zusage. Es haben sich 20 Personen beworben – vor allem Männer natürlich – und ich habe den Job bekommen.

Wie empfinden Sie die heutige Situation bezüglich Gleichstellung?
J. M.: Die Frauen verdienen zu wenig für ihre Leistungen. Ich persönlich war nie benachteiligt, denn ich wusste, was ich kann, und habe mich gewehrt. Manchmal sagen mir andere Frauen, dass sie nicht für voll genommen werden und ihre Arbeit zu wenig gewürdigt wird. Jede Frau muss sich selbst wehren und den Mut haben, sich zu verteidigen.
S. S.: Das Thema Gleichstellung ist aktueller denn je. Wir lesen und hören überall, dass Frauen den Männern immer noch nicht gleichgestellt sind. Doch ist das wirklich so? Ich bin der Meinung, dass ich als junge berufstätige Frau mindestens die gleiche Stellung in der Gesellschaft habe wie meine gleichaltrigen männlichen Kollegen. Wie sich jemand in die Gesellschaft einbringt oder die Karriere plant, hängt vielfach von der Kinderstube zuhause ab, der Einstellung, welche von den Eltern mitgegeben worden ist. Dadurch, dass meine Eltern eine eigene Bäckerei-Konditorei-Confiserie führen und ich von klein auf mitbekommen habe, was es bedeutet für seine Werte zu leben und zu kämpfen, kann ich sagen, ich bin dem «Mann» mindestens gleichgestellt.

Frau Signer, Sie studieren berufsbegleitend. Wie erleben Sie es an der Fachhochschule?
S. S.: In meinem berufsbegleitenden Studium liegt die Frauenquote in meiner Klasse deutlich über 50 %, was mein Bild widerspiegelt, dass Frauen tendenziell noch ehrgeiziger sind als Männer und dies im Berufsalltag anschliessend beweisen.
Aber eine totale Gleichstellung von Mann und Frau in allen Punkten der Gesellschaft wird es nie geben. Dafür sind Frau und Mann zu unterschiedlich, und das ist auch gut so. Solange die wichtigsten Punkte stimmen wie beispielsweise die Beurteilung der Leistung, der Lohn und die Möglichkeit, dass auch der Mann sein Arbeitspensum für die Erziehung der Kinder reduzieren kann, kann ich von mir behaupten, dass ich mich gleichgestellt fühle.

Welchen Wunsch haben Sie für die Zukunft?
J. M.: Ich wünsche mir Respekt und Akzeptanz und Toleranz. Jeder und jede muss seinen Beitrag leisten.
S. S.: Ich wünsche mir für die Zukunft, dass noch mehr Frauen auf ihre innere Stimme hören und ihre Ziele verfolgen. Wir haben als Frauen genau das gleiche Recht wie Männer, und dafür sollen wir auch einstehen.

Die 72-jährige Jeanette Müller ist gelernte Dekorationsgestalterin. Sie arbeitete in verschiedenen Luzerner Mode- und Warenhäusern, war Chef-Dekorateurin bei Gübelin und machte sich selbständig. Dann kam sie zur Richemont Fachschule in Luzern, wo sie in der Schaufenster-Gestaltung arbeitet, zahlreiche Verpackungskurse leitete sowie ÜKs in Luzern und Pully.

Die 24-jährige Sidonia Signer hat ihre Ausbildung als Kauffrau in der Raiffeisenbank Calanda absolviert und war anschliessend als Kundenberaterin und Assistentin KMU tätig. Seit August 2020 arbeitet sie zu 60 % in der Administration des elterlichen Betriebs, der Signer Bäckerei-Konditorei-Café in Zizers. Daneben studiert sie Betriebsökonomie an der Fachhochschule Graubünden.

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